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Kultur: Der Mann aus Wachs

Feldherr und Weltherr: Oliver Stones Hollywood-Epos „Alexander“ spaziert durchs Freilichtmuseum der Geschichte

Anthony Hopkins steht auf einer Terrasse hoch über Alexandria, blickt elegisch aufs Mittelmeer und noch tiefer in die Vergangenheit. Binnen weniger Minuten stellt sich ein Gefühl ein, das fast drei Stunden anhalten wird: atemberaubende Langeweile. Nicht unbedingt der Hauptaffekt, für den Oliver-Stone-Filme („Platoon“, „Natural Born Killers“) bekannt geworden sind. Auch Dr. Hannibal Lecter-Hopkins löst meist gänzlich andere Emotionen aus. Es ist ein Rätsel. Beginnen wir mit der Lösung.

„Das Schöne an Alexander ist, dass er immer gesiegt hat“, beschreibt Stone den Hauptgrund seiner Zuneigung zum Helden. Für einen Feldherrn ist das bestimmt gut, aber für einen Regisseur? Außerdem klingt es doch ein klein wenig imperialistisch. Und gegen wen hat er gesiegt? Gegen die Perser. Beinahe möchte man da misstrauisch werden: Warum verfilmt Stone ausgerechnet jetzt den ersten großen Aufbruch des Westens gen Osten (sofern man gewillt ist. Makedonien zum Westen zu zählen)?

Da zieht also einer los und pflückt die Großreiche dieser Welt im Vorbeireiten. Mit dem Zweistromland hatte Alexander nicht halb soviel Schwierigkeiten wie Rumsfeld. Auch reitet Alexander gleich weiter bis an den Hindukusch. Ja, der Mann ist nicht nur feldherrentechnisch irgendwie moderner als das Pentagon – sondern auch im Blick der Global Economy schon ganz oben. Zwei frisch erschienene Bücher setzen seine Militärstrategien in Ratschläge für moderne Geschäftsleute um. Alexander, das Top-Vorbild für künftige Top-Leute: Mit 25 Jahren hat er 90 Prozent der damals bekannten Welt erobert.

Auch sonst liegt schief, wer Oliveer Stone als einen Abgesandten Bushs beargwöhnt? Schließlich hat er vor „Alexander“ einen Dokumentarfilm über Fidel Castro gedreht und konnte gar nicht verstehen, warum der produzierende Sender seinen „Comandante“ wieder aus dem Programm genommen hat. Zu einseitig, sagte der Sender. Nun gut, Castro redet, und Stone hört zu. Der Mann hat doch was zu erzählen, findet Stone. Hätte er das etwa umdrehen sollen?

In „Alexander“ spricht, wie bereits angedeutet, Anthony Hopkins die ganze Zeit. Vielleicht hätte ja Castro die Rolle dieses typischen Diadochenkönigs übernehmen können – einzig Übriggebliebener einer vermeintlich großen Vergangenheit. Egal, Hopkins sitzt also in Alexandria und blickt zurück auf die Jahre, die er mit dem Feldherrn verbrachte. Das waren sehr, sehr viele, denn vor der Erfindung des Luftkriegs dauerte es noch ziemlich lange bis an den Hindukusch und zurück. Der Spannungsbogen des Films lässt sich somit auch so beschreiben: Ein paar Freunde brechen auf zu einer langen Reise, und einer nach dem anderen möchte wieder nach Hause. Gewisse Ungewissheiten gehörten zu den entscheidenden Nachteilen des Unterwegsseins – vor Erfindung des Pauschaltourismus.

Colin Farrell spielt Alexander, doch wirklich erwähnenswert ist das nicht, denn er er hinterlässt keine nennenswerten Abdrücke im Bewusstsein. Vertretertypus, keine besonderen Kennzeichen, abgesehen von einer gewissen Ahnungslosigkeit. Immerhin wollte Stone gerade nicht den martialischen- Kriegertyp, denn dieser Alexander ist lange nicht so hart wie typische Stone-Männer. Allerdings glaubt man Farrell trotz aller Rest-Weichheit auch nicht unbedingt den Aristoteles-Schüler.

Andererseits: Einem wie Aristoteles würde man heute die Lehrbefugnis entziehen. Für ihn zerfällt die Welt in die Griechen und die Nichtgriechen. Das Sammelwort für alle Nichtgriechen heißt Barbar. Griechen sind selbstbeherrscht, die Perser sind ausschweifend. Sagt Christopher Plummer als Aristoteles. Dabei sehen die heutigen Griechen die Dialektik von Selbstbeherrschung und Ausschweifung durchaus anders als Aristoteles. Sie beschwerten sich bereits über Alexanders latente Homosexualität bei Stone. Auch wenn Alexander schließlich Roxane, eine Wald-und Wiesenprinzessin der Barbaren, heiratet (zur großen Empörung seiner Mitgriechen) – seine wahre Zuneigung gilt immer dem Freund Hephaistion.

Bloß, wer redet hier von Homosexualität? Enthält die vollkommene Liebe für Griechen doch, die Seele, den Geist eines anderen zu lieben – und Frauen kamen für solche Höchstformen der Zuwendung nicht in Frage, weil sie beides allenfalls ungenügend besitzen. Glaubten die Griechen. Der Beziehung Alexanders zu Hephaistion verdanken wir eine der lustigsten Szenen des Films, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Humor in „Alexander“ grundsätzlich unfreiwilliger Natur ist. So sagt der sterbende Freund, „Es geht mir schon viel besser!“, um entseelt aufs Lager zurückzusinken. Wenn Alexanders Kampf gegen die indische Elefantenarmee beginnt, ist der Zuschauer für jeden Schlachtenernst verloren.

Nur einmal, bei Alexanders erstem und entscheidenden Sieg über die zahlenmäßig weit überlegene persische Armee, überträgt sich, für Augenblicke, der Furor des Kampfes. Der persische Herrscher in seinem Gefährt sieht ein bisschen aus wie bin Laden. Pseudo-bin-Laden flieht, Alexander folgt ihm und findet ihn. Nein, Alexander ist doch nicht Bush. Bush würde wohl auch nicht Sätze sagen, zu denen Alexander bei seinem Einzug in Babylon durchaus fähig ist: Was für eine Kultur, viel älter als die unsere!

Ab Donnerstag in 21 Berliner Kinos; Originalfassung im Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar SonyCenter.

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