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Kultur: Der Mann, der Nofretete holte

James Simon war fast vergessen. Jetzt endlich rückt einer der größten Kunstförderer der Stadt wieder ins Bewusstsein

Die Bronzetafel, die an diesem Freitag an der baden-württembergischen Landesvertretung enthüllt wird, ist ein längst überfälliger Akt des Gedenkens an James Simon, den bedeutenden Mäzen und Philanthropen. Aber in Wahrheit ist sie viel mehr. Die Plakette mit der kräftigem, charaktervollen Relief-Kopf des Künstlers Johannes Grützke steht für die Absicht, eine Erinnerung zurückzugewinnen, die aus dem kollektiven Gedächtnis ziemlich verschwunden ist. Hier, an dem Platz, an dem Baden-Württemberg seine Repräsentanz gebaut hat, stand einmal die Villa, in der James Simon vier Jahrzehnte wohnte. Der Mann, den kaum einer noch kennt, war eine große Gestalt des Kaiserreiches und der Republik. Der Nationalsozialismus hat ihn, den preußischen Juden, aus der Erinnerung vertrieben.

Gewiss, es gab seit langem eine Berliner Gedenktafel am Stadtbad Mitte, und im Ägyptischen Museum in Charlottenburg erinnert eine Porträtbüste an ihn, am Bode-Museum eine Plakette. Aber was ist das bei einem Mann, der schon deshalb erinnernswert ist, weil ihm Berlin die Nofretete verdankt, die zum Bilderschatz der Menschheit gehört und mit der sich die Stadt schmückt? Und die doch nur einen winzigen Teil der Gaben und Taten ausmacht, mit denen er Zeitgenossen und Nachfahren beschenkt hat? Hätte er in den Vereinigten Staaten, England oder Frankreich gewirkt, also in Gesellschaften mit stärkerem Traditionsbewusstsein, so trügen Museumsfluchten, Straßen und Plätze seinen Namen. Nichts dergleichen in Deutschland.

Simon verkörpert eine Periode in der Geschichte Berlins, auf die die Stadt stolz sein kann, weil sich in ihr wirtschaftlicher Aufstieg mit bürgerschaftlichem Sinn verband. Der erfolgreiche Unternehmer, zeitweise der größte Baumwollhändler auf dem Kontinent und einer der reichsten Männer Berlins, hat entscheidend dazu beigetragen, dass Berlin in die Reihe der großen Museumsmetropolen aufstieg, neben Paris, London und Wien. Dank seiner Großzügigkeit gingen bedeutende Werke und ganze Sammlungen ein in die Berliner Kunstmuseen und, vor allem, ihre ägyptischen und vorderasiatischen Abteilungen. Mit besonderer Hingabe förderte und finanzierte Simon die Ausgrabungen in Ägypten und im Vorderen Orient, mit denen die deutsche Wissenschaft damals Epoche machte.

Simons Engagement galt nicht nur der Kultur, sondern auch den sozialen Krisenzonen seiner Zeit. Dass sich eine Gedenktafel für ihn am Stadtbad Mitte befindet, erinnert daran, dass er Mitbegründer der ersten Volksbadeanstalt war. Kinderheime, Ferienkolonien, Vereine zum Kinderschutz wie zum Zwecke der Heranführung breiter Bevölkerungskreise an Kunst und Wissenschaft – überall, wo sich die soziale Frage stellte, diese Schattenseite des wirtschaftlichen Aufschwungs, war Simon zur Stelle. Man schätzt, dass er in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zwischen einem Viertel und einem Drittel seines Jahreseinkommens dafür zur Verfügung stellte.

Die produktiven Seiten, die das Kaiserreich auch hatte, der fruchtbare Impuls der bürgerlichen Welt: sie sind in diesem zurückhaltenden Mann, der so gerne Wissenschaftler geworden wäre und sich doch ins Joch des Geschäftes zwang, zum Ereignis geworden. Die zu recht gerühmte, mit ebensolchem Recht umstrittene deutsch-jüdische Symbiose war in ihm nicht Legende, sondern Wirklichkeit. Er zählte nicht nur zu den privilegierten „Kaiserjuden“, mit denen Wilhelm II. Umgang pflog, sondern war auch – unter anderem – Vorsitzender des Hilfsvereins der deutschen Juden, der die Lebensverhältnisse in Palästina und Osteuropa zu verbessern suchte. Auch die Beteiligung an der Gründung der Technischen Hochschule Haifa zählt zu seinen Verdiensten.

Um so verstörender ist es, dass eine Gestalt seines Formats auch nach dem Ende des Dritten Reiches den ihr zukommenden Platz im öffentlichen Gedächtnis nicht wieder eingenommen hat. Ist er nicht ein exemplarische Vertreter uneingeschränkt positiver Überlieferungen, an denen wir ja nicht gerade Überfluss haben? Erst recht angesichts der Schicksalslinien, die sich in dieser Existenz berühren, der bürgerlich-liberalen wie der deutsch-jüdischen? Dass die Erinnerung an ihn so blass geblieben ist, ist nicht nur ein Beispiel der Undankbarkeit gegenüber einem großen einstigen Mitbürger. Es ist auch – was vielleicht noch schwerer wiegt – ein Zeichen der Selbstvergessenheit der Deutschen. Ihr unsicheres Selbstverständnis hat damit zu tun.

Prägnant offenbarte sich dieser Zustand vor fünf Jahren, zu Simons 150. Geburtstag: eine Gedenkveranstaltung in der Rotunde des Alten Museums, kluge Reden, aber so ohne öffentliche Resonanz, dass das Unangemessene an diesem Gedenken alle Anwesenden berührte. Inzwischen, immerhin, hat sich einiges geändert. Es gibt eine Biographie, die ein Kunsthändler in missionarischer Absicht immer wieder verschenkt hat. Ein Freundeskreis hat sich gebildet. Die Absicht, Berlin dazu zu bringen, eine Straße nach James Simon zu benennen, ist freilich am Bezirk Mitte gescheitert – er hält mit einer Verbohrtheit am Ziel einer zu erreichenden Geschlechter-Parität bei den Straßennamen fest, die diesen Gedanken der Lächerlichkeit preisgibt. Anders das Land Baden-Württemberg: kaum dass es in der neu-alten Hauptstadt Fuß gefasst hat, bekennt es sich nun am Portal seiner Landesvertretung zu dem historischen Grund, auf dem sie steht.

Die Vereinigung der Stadtführer hat in einer Parallelaktion an der Stelle von Simons letztem Wohnhaus Ecke Bundesallee/Trautenaustraße eine Tafel angebracht. Eine Stiftung ist bis zur Satzung gediehen, die einen Preis für soziales und kulturelles Engagement verleihen will. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird die von David Chipperfield entworfene Eingangshalle der Museumsinsel „James Simon Galerie“ nennen. Spät kommt Erinnerung, doch sie kommt.

Vom 19. bis 23. Juni erinnert in der Landesvertretung Baden-Württemberg, Tiergartenstr. 15, eine Ausstellung des Ägyptischen Museums an James Simon. Mo-Do 8.30–16.30, Fr 8.30– 15.30 Uhr.

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