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Kultur: Der Mann, der zu wenig wusste

Liebe auf der Flucht: Franka Potente und Matt Damon in „Die Bourne Identität“

Von Christian Schröder

Die Qualität eines Actionfilms erweist sich immer dann, wenn die Handlung in ihrer Hetzjagd von einem Suspense-Höhepunkt zum nächsten für einen Moment zur Ruhe kommt: Die Stille zwischen den Explosionen kann dann ohrenbetäubend sein. Ein Parkhaus im Zentrum von Paris. Neonlicht, Beton-Geborgenheit. Das Paar, das in einem roten Austin Mini hockt, ist seinen Verfolgern – fünf, sechs Polizeiwagen – in einer irrwitzigen Verfolgungsjagd entkommen. Auf den Boulevards wechselten sie bei Tempo 150 die Fahrbahn, und ein paar Mal sah es so aus, als ob ihre Flucht unter einem entgegenkommenden LKW enden würde. Aber jetzt gibt es nur noch diese beiden Gesichter in Großaufnahme. Matt Damon und Franka Potente wechseln tiefe Blicke. Lange Pause. Jetzt müsste ein Dialog folgen, der andeutet, dass aus den Flüchtenden Liebende werden könnten. Vielleicht auch nur ein Einzeiler, ironisch aus dem Mundwinkel gegrinst. Stattdessen sagt Matt Damon: „Wir können nicht zu diesem Auto zurückkehren.“

„Die Bourne Identität“ ist ein Film, der gerne von Hitchcock wäre. Er stammt aber bloß von Doug Liman, der mit seinen Independent-Komödien „Swingers“ und „Go“ Überraschungserfolge landete. Ein Mann gerät zwischen die Fronten, er wird von Verfolgern gejagt, die er nicht kennt. Liman spitzt die aus Hitchcock-Thrillern wie „Der Mann, der zuviel wusste“ oder „Der unsichtbare Dritte“ vertraute Konstellation noch weiter zu: Bei ihm weiß der Held nicht einmal, wer er selber ist. Jason Bourne (Damon) wird eines Nachts bei Marseille aus dem Mittelmeer gefischt. Er hat sein Gedächtnis verloren, in seinem Rücken stecken eine Kugel und eine Kapsel, die den Weg zu einem Bankschließfach in Zürich weist.

Bei Hitchcock war Cary Grant der Prototyp des amerikanischen Jedermann, der sich aus lebensbedrohlichen Lagen retten muss und verdutzt ist, dass es ihm immer wieder gelingt. Matt Damon hat in der „Bourne Identität“ schon zu viel gesehen, um noch verdutzt zu sein. Sein Körper ist durchtrainiert, er tötet ohne Reue, und wenn es sein muss, stürzt er sich auch im sechsten Stock aus dem Fenster. Kein Jedermann, sondern eine Kampfmaschine: Die CIA hatte Bourne darauf angesetzt, einen afrikanischen Despoten auszuschalten, jetzt muss er selber ausgeschaltet werden, bevor er sich gegen das System wenden kann. Damon/Bourne bewegt sich wie in Trance durch diesen Film. Ihm fehlt das Bewusstsein seines Handelns, blind folgt er seinen Instinkten und den eintrainierten Kampfprogrammen. Ein Agent muss tun, was ein Agent tun muss. Gefühle sind für ihn Gefahren. Dann trifft er Franka Potente.

Um die deutsch-amerikanische Freundschaft steht es derzeit nicht zum Besten. Die „Bourne Identität“ zeigt, was die Beziehungen zwischen der alten und der neuen Welt auch sein könnten: eine Romanze. Die Rollen sind klar verteilt. Matt Damon ist ein Hier- und Jetztmensch, der alles vergessen hat, was länger als zwei Wochen zurückliegt, Franka Potente ein desorientiertes Aupairmädchen, das schon von den Antragsformularen für ein Visum überfordert wird. Anfangs soll Potente Damon für 20 000 Dollar von Zürich nach Paris fahren, daraus wird eine Flucht ohne Ende. Es ist ein See-Europe-in-Seven-Days-mäßiger Spurt durch das Herz des Kontinents, über malerische Alpenpässe, an den im Vorfrühling blühenden Bäumen von Paris vorbei bis in die holländische Flachlandeinsamkeit, wo Schafe blöken und der vom CIA angeheuerte Scharfschütze (Clive Owen) mit seinem Zielfernrohr im Gehölz lauert. Der Film folgt einem Roman von Robert Ludlum aus dem Jahr 1980, er verströmt trotz aller Rasanz den Ruch des Altmodischen. So überschaubar in ihren Gut/Böse-Unterscheidungen wird die Welt vielleicht nie wieder sein.

Die Potente überzeugt in ihrer ersten Hollywood-Hauptrolle mit der Bereitschaft zum Nicht-Glamour. Der Nagellack auf ihren Fingern splittert ab, sie trägt ausgeleierte Punk-T-Shirts, und wenn es hart auf hart kommt, kotzt sie auch schon mal in die Ecke. „Scheiße, Scheiße!“, ruft sie im Geschosshagel, und Damon ist zuverlässig zur Stelle. Eigentlich gehört es zu den ungeschriebenen Gesetzen des Genres, dass sich spätestens im Finale die Geschlechterrollen wenden und einmal auch die Frau den Helden retten muss. Franka Potente würde man jede Action-Großtat zutrauen, darstellerisch ist sie Matt Damon ohnehin überlegen. Aber „Die Bourne Identität“ verzichtet bis zum Showdown konsequent auf jede Überraschung. So sind es auch die politischen Verhältnisse, die dieser Thriller vor Augen führt: Wenn die Waffen sprechen, sind es immer die Amerikaner, die ihre Verbündeten heraushauen.

In 19 Berliner Kinos, OV im CinemaxX Potsdamer Platz und im CineStar im Sony Center.

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