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Kultur: Der Musenguss

Eisen war Berlins wichtigster Werkstoff: Eine Ausstellung im Stadtmuseum ehrt das rostende Zeitalter

Das eiserne Zeitalter liegt in den letzten Zügen. Wer am Palast der Republik vorbeigeht, hört es ächzen und stöhnen. Aufgerissen liegt der Volkspalast da, ein ernüchternder Blick in den Bauch Berlins, nur noch als schräges Fotomotiv und vom Schrottwert her interessant. Zwei Ecken weiter, im Ephraim-Palais, zeigt die Stiftung Stadtmuseum die passende Ausstellung: „Eiserne Zeiten“ erzählt, wie hoffnungsfroh alles begann. Ohne Eisen, ohne all die Lokomotiven, Schienenstränge, Maschinen, Rohre und Brücken, die gespannten Kuppeln, Hallen und Dachstühle, wäre Berlin nie zur Großstadt geworden. Eisen war der Werkstoff des 19. Jahrhunderts, bis ins Metaphorische hinein. Begriffserfindungen wie der „Eiserne Kanzler“ (Bismarck) oder die „eiserne Reserve“ stammen aus dieser Zeit.

Mit „Blut und Eisen“ wurde 1870/71 das Kaiserreich geschmiedet. Erst Hitler bemühte rhetorisch den noch härteren Kruppstahl, in Anklang an Jüngers Stahlgewitter. Stahl und Eisen waren stets beides: ziviles Fortschrittsversprechen und Kriegsmaterial. Nur der Einfachheit halber soll hier dem Eisen der Stahl zugeschlagen werden, eine Eisen-Kohlenstoff-Legierung, die laut EU-Norm weniger als 2,06 Prozent Kohlenstoff enthalten muss. Wird es mehr, sprechen Werkstoffkundler von Gusseisen.

In Berlin begann die Eisenzeit erst 1804. Damals eröffnete am Oranienburger Tor die Königliche Eisengießerei zu Berlin: ein Vorzeigebetrieb, dessen Arbeiter den Klassenkampf nicht nötig hatten, den die private Konkurrenz allerdings bald mit technischen Innovationen überrundete. 1874 wurde der Staatsbetrieb aufgelöst, auf seinem Grundstück an der Invalidenstraße entstand die Königliche Geologische Landesanstalt und Bergakademie. Heute residiert hier das Bundesbauministerium. Im Foyer erinnern zwei eiserne Löwen nach Modellen von Preußens Bildhauerstar Christian Daniel Rauch an die Vorgeschichte.

Die Gießerei war berühmt für ihre plastischen Erzeugnisse. Die Produktion von auf Schienen laufenden „Dampfwagen“ stellte man hier nach frühen, unergiebigen Versuchen wieder ein, stattdessen: Denkmäler, Briefbeschwerer, Kerzenhalter, Büsten – und unerreicht eleganter Damenschmuck. Als fer de Berlin eroberten die fragilen Colliers, Ohrgehänge, Broschen und Ringe aus Eisendraht den europäischen Luxusgütermarkt.

In Preußen selbst galten sie als politisches Bekenntnis. Zur Finanzierung der Befreiungskriege gegen Napoleon hatte Prinzessin Marianne von Preußen 1813 die erste Wertstoffsammelaktion der deutschen Geschichte ins Leben gerufen. „Gold gab ich für Eisen“ wurde ein voller Erfolg: Tausende Patriotinnen tauschten ihre Gold- und Silberschmuckstücke gegen eiserne Surrogate ein, für männliche (Kriegs-)Helden gab es das von Schinkel entworfene Eiserne Kreuz. Produziert wurde alles in den königlichen Eisengießereien Berlin und Gleiwitz in Schlesien. Nach Kriegsende und dem Gewinn der Rheinprovinz kam als dritte Staatsgießerei die Sayner Hütte bei Koblenz hinzu. Mit dem Guss des Siegeszeichens wurde natürlich Berlin beauftragt: Seit 1821 kündet Schinkels Denkmal auf dem Kreuzberg von Preußens Glanz und Gloria.

Eisen in Berlin: Das ist auch die Geschichte eines brummenden Industriestandorts, an den heute wenig erinnert – außer Straßennamen wie Borsigstraße. Kurz nachdem sich die Berliner Eisenbarone nahe dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chaussee-, Invaliden- und Torstraße angesiedelt hatten, tauften die Berliner das von Fabrikschloten dominierte Gelände „Feuerland“. Ein „weites Gebiet, bedeckt mit Obelisken, die der Pharao der Industrie erbauet hat“, las man 1855 in einer Zeitung. Fortan machte dort die Industrie das Wetter: Der Himmel über Berlin wechselte von Biedermeier-Blau zu gründerzeitlichem Grau. Später zogen die Firmen weiter nach Norden und Osten, seit hundert Jahren stehen im einstigen Feuerland gewöhnliche Mietshäuser.

Auch Berlins Frühindustrielle waren meist in der Gießerei ausgebildet worden. August Borsig, der erste Großindustrielle, gehörte dagegen schon zu den Kindern der Privatwirtschaft: Er studierte am Königlichen Gewerbeinstitut. Bald darauf wurde er Praktikant bei Franz Anton Egells, der sich 1823 mit der ersten Maschinenbauanstalt an der Chausseestraße angesiedelt hatte. Als Egells’ Nachbar wagte Borsig 1836 den Schritt in die Selbstständigkeit. Bereits vier Jahre später entwickelte er die mit 80 Pferdestärken größte Dampfmaschine Preußens, die 1842 für die Wasserspiele in Potsdam in Betrieb genommen wurde. Dort ist das im maurischen Stil gehaltene Maschinenkunstwerk noch heute zu bestaunen. Groß aber wurde Borsig durch den Lokomotivbau: 1841 konstruierte die Firma ihre erste Lok, 1843 gewann eine Borsig-Maschine die Wettfahrt gegen ein englisches Stephenson-Modell. 1858 konnte Borsigs Sohn Albert sein Sektglas auf die tausendste Lok erheben – da war die bereits teilweise nach Moabit umgezogene Firma mit 2000 Beschäftigten schon das größte Industrieunternehmen Berlins. Auch war Borsig an der Ausstattung des Neuen Museums und der Schlosskuppel mit guss- und schmiedeeisernen Bauelementen beteiligt. Was von außen klassisch wirkte, verbarg hinter den Kulissen modernste Bautechnik.

Auch die weitgehend unsichtbare Infrastruktur der werdenden Großstadt, die zunächst aus Gusseisen gefertigten Gas- und Abwasserrohre, Brücken, Straßenlaternen, Wasserpumpen und nicht zuletzt die Pissoirs kündeten und künden teilweise bis heute von Berlins Eisenzeit: ein universeller Werkstoff, gemacht für die Ewigkeit. Wer auf einen alten, buckligen Gullydeckel tritt, spürt es.

Bis 2. März im Ephraim-Palais, Poststraße 16, Mitte. Der Katalog (Verlag Willmuth Arenhövel) kostet 15 Euro.

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