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Krieg und Frieden.

© Barbara Braun/ MuTphoto

Kultur: Der Musenstempel

Ganz locker und verkrampft und furchtbar witzig: Die Bilanz des 50. Berliner Theatertreffens fällt nüchtern aus.

Sie war das Gesicht des diesjährigen Theatertreffens. Obwohl von ihr erst einmal nichts zu sehen war. Versteckt in einer riesigen Boutiquentüte kroch Sandra Hüller auf allen Vieren über die eisbedeckte Bühne, um sich dann jammernd und ächzend zu befreien und in immer neuen Schleifen und Wiederholungen aus der leerlaufenden Selbsthass-Textfläche von Elfriede Jelinek komödiantische Funken zu schlagen. Für diese Rolle wurde Sandra Hüller am Pfingstmontag mit dem mit 10 000 Euro dotierten 3sat-Preis ausgezeichnet.

Eine Frau kauft sich also einen teuren Rock, muss dann aber feststellen, dass der an ihr gar nicht so göttlich hingegossen und glamourös aussieht wie an dem Fotomodell, an dessen Idealleib sie das Objekt zum ersten Mal erblickte. Es ist schon wieder beeindruckend, mit welcher Ausdauer Elfriede Jelinek aus dieser Null-Erkenntnis hundertzwanzig Seiten generiert. Umso phänomenaler, wie es Sandra Hüller und ihrem Regisseur Johan Simons gelingt, aus dieser dünnen Vorlage immer noch eine Hysteriefacette hervorzuzittern und immer noch einen paranoiden Nebenstrang aufzuspüren und zum Strahlen zu bringen. „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“ von den Münchner Kammerspielen ist kein ernst zu nehmener Theatertext, sondern eine Auftragspetitesse zum 100. Geburtstag des Hauses. Also eigentlich ein Theaterwitz, der es wohl nur wegen der großartigen Hüller zum Theatertreffen geschafft hat.

Andererseits, war nicht das genau der rote Faden der diesjährigen Auswahl? Der Theaterwitz. Sebastian Hartmanns „Krieg und Frieden“ aus Leipzig schleppte sich trotz berührender Szenen und gelungenem Setting durch Tolstois Megaroman und erreichte nur mithilfe hemmungsloser Figurenverjuxung nach fünf Stunden die Ziellinie. Karin Henkel brachte aus Köln Hauptmanns „Die Ratten“ mit. Auch hier war der Anfang vielversprechend. Das Spiel beginnt in einer Garderobe, man sieht die Schauspieler in ihre Kostüme, in ihre Rollen schlüpfen. Es liegt für kurze Zeit eine Jürgen-Gosch-Spannung, eine analytische Neugier in der Luft, eine Staunen über das Rätsel, wie aus gewöhnlichen Menschen Figuren werden und sich ein normalen Raum in eine Bühne verwandelt, in der sich etwas Überraschendes zeigt. Doch dann verschleudert sich der Abend an die Karikatur und den wohlfeilen Theaterbetriebskalauer. Man zieht sich ständig um, macht Witze über „Shakespeare-Kunst-Kacke“ und brüllt sich die Seele aus dem Leib.

In diesem Zusammenhang ist es eine bittere Pointe, dass der überzeugendste Abend, „Murmel Murmel“ von der Berliner Volksbühne, eben nichts anderes sein soll als Klamauk. Herbert Fritsch macht ein Theater nach dem Tod des Theaters. Er kann mit seinen akrobatischen Späßen brillieren, er kann machen, was er will, weil sich der Zuschauer darauf eingestellt hat, dass er so etwas wie Sinn sowieso nicht erwarten darf.

Sandra Hüller hatte beim 50. Theatertreffen noch zwei weitere Auftritte. Sie moderierte die missglückte Geburtstagsfeier zum Festival. Und sie führte als Videoguide bei der Geburtstagsbustour durch das frühlingshafte Berlin, vorbei an den großen Häusern der Stadt: Schiller-Theater! Deutsches Theater! Volksbühne! Da staunte man nicht schlecht über ihr unmotiviertes Augenrollen, das mokante Lächeln und die Dauerironie, mit der sie sich über historische Inszenierungen lustig machte, als sei eben auch die fünfzigjährige Theatertreffengeschichte nichts anderes als: ein Witz.

Im letzten Jahr gab es „Hate Radio“ von Milo Rau über den Völkermord in Ruanda und den Zwölf-Stunden-Ibsen von Vegard Vinge. Es gab Positionen nicht zu besichtigen, sondern zu erleben. In diesem Jahr war alles normaler, unaufgeregter, konfektioneller. Es gab aus Hamburg Luk Percevals Romannacherzählerei zu Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ und aus Zürich kam eine mit Anspielungen und Verweisen wild herumballernde Westernversion von Brechts „Johanna“. Thalheimers „Medea“ mit Constanze Becker ragte heraus, was den Ernst und die Dringlichkeit des Ansatzes angeht.

Die Auswahl ist Sache der Jury, aber es fragt sich, warum die Institution selbst sich so zaghaft präsentiert. Die üppigste Theaterlandschaft der Welt, ein großartiges Festival, das seinesgleichen sucht – und dann macht man sich klein und huscht auf Turnschuhen durch diese Jubiläumsausgabe, als wolle man sie bloß schnell hinter sich bringen. Ohne Stolz, dafür mit einer schamhaften Dankbarkeit den Geldgebern gegenüber, dass man überhaupt noch existiert darf, und verdrucksten Späßen über die Beamtenhaftigkeit des eigenen Betriebs.

Nichts symbolisiert diese krampfige Lockerheit so sehr wie der würdelose Riesenstempel, der jedem eingeladenen Regisseur nach der Premiere überreicht wird – als Zeichen, dass die Inszenierung als theatertreffentauglich abgestempelt wurde. Wo sind wir denn? In der Theaterhäschenschule? In der Inszenierungseinwanderungsbehörde?

Vor dreißig Jahren erschien im Alexander Verlag das Buch „Der leere Raum“ von Peter Brook. Er schreibt darin über das „heilige“ und das „derbe“ und das „unmittelbare“ Theater und über die magische Kraft, die einen leeren Raum beleben kann, wenn man sich ihr nur zu stellen weiß. Über das sogenannte „tödliche Theater“ sagt der große Regisseur: „Das Problem des tödlichen Theaters ist wie das Problem des tödlichen Langweilers. Jeder tödliche Langweiler hat Kopf, Herz, Arme, Beine; gewöhnlich hat er Familie und Freunde, er hat sogar seine Bewunderer. Und doch seufzen wir, wenn wir ihm begegnen – und mit diesem Seufzen bedauern wir, dass er irgendwie am Boden statt auf der Höhe seiner Möglichkeiten ist.“

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