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Kultur: Der Musiktheatermagier

Zum 60. Geburtstag der Komischen Oper: Ein Bildband feiert den Gründer Walter Felsenstein

Wer im stuckverzierten Saal sitzt, überschätzt leicht das Alter der Komischen Oper: Die architektonische Hülle stammt zwar von 1892, die Institution aber wird heute 60 Jahre jung. Am 23. Dezember 1947 startete mit der Operette „Die Fledermaus“ eine einmalige Erfolgsgeschichte: Berlins kleinstes Opernhaus hat das Musiktheater des 20. Jahrhunderts verändert wie kein zweites. In allererster Linie durch die Arbeit eines einzigen Mannes, des legendären österreichischen Regisseurs Walter Felsenstein, Gründer und bis zu seinem Tod 1975 Intendant der Komischen Oper.

Was Oper in der alltäglichen Aufführungspraxis noch bis zum Zweiten Weltkrieg bedeutete, kann man sich heute gar nicht mehr recht vorstellen: Sänger, die an der Rampe stehen und eine Figur mehr verwalten als spielen, und ein Publikum, das sich nicht für die dramatische Handlung und ihre Übersetzung in Musik interessiert, sondern einzig für Volumen und Eingängigkeit einer Stimme. Regie war unwichtig, man wollte das Bekannte auf die möglichst gleiche Weise immer wieder sehen und hören.

Damit räumte Walter Felsenstein auf. Im Programmheft der Eröffnungsvorstellung schreibt er: „Gesang als Einlage und als nur klangliche Produktion einer Stimme ist eine Degradation des Theaters und die mehr oder weniger unverbindliche instrumentale Begleitung eines durchaus selbständigen szenischen Vorgangs ein Mißbrauch wertvoller Musik.“ Felsenstein wollte ein Musiktheater, in dem beide Teile des Wortes gleichberechtigt sind, bei dem Gesang und Szene zu etwas Neuem verschmelzen und dabei in jedem Moment glaubhaft sind. Um das zu erreichen, arbeitete er detailliert bis zur Besessenheit: „Sich etwas vornehmen, nützt gar nichts, man muss sich ganz der Realität anpassen, dann kann einem nichts passieren! Aber vielleicht hast du noch nie erfahren, wie das ist, wenn man sich verliert: an das jeweilige Bild, an den Vorgang. Du glaubst, wenn du dich verlierst, gehst du unter. Nein! Du wirst entdecken, dass du schwimmen kannst, wenn du dich wirklich einmal aufgibst.“

Nichts könnte deutlicher zeigen, wie sich Felsenstein bei der Arbeit an den Vorgang verloren hat, als die Fotografien in dem Bildband „Werkstatt Musiktheater“, 2005 im Henschel Verlag erschienen, bald vergriffen und zum Jubiläum jetzt in einer Sonderauflage wieder aufgelegt. Die Fotografien stammen von Clemens Kohl, von 1962 bis zu seinem Tod 1983 Chorsolist an der Komischen Oper. Der Betrachter von Kohls Probenfotos merkt sofort, mit welcher Intensität Felsenstein jeden Augenblick der Inszenierung, jedes Detail, jede Geste der Sänger durchgearbeitet und durchdacht hat. Großartig das Bild, auf dem er dem Bariton Rudolf Asmus vorführt, wie entsetzt dieser als Leporello auf die Statue des Komturs zu blicken habe. Clemens Kohls Fotografien ermöglichen einen drastischen, unverstellten Blick auf das Wesen und die Arbeitsweise eines großen Regisseurs, der wusste, dass die Arbeit an einer Vorstellung nie aufhört – und dass Routine das Ende jeglicher Kunst bedeutet. „Jede Aufführung, die an eine vorangegangene erinnert, ist schlecht“, schrieb er in einem seiner vielen öffentlich ausgehängten Briefe an sein Ensemble.

Obwohl Felsensteins Œuvre mit 30 Inszenierungen relativ schmal blieb, ist seine Wirkung bis heute ungeheuer. Andreas Homoki, der gegenwärtige Intendant der Komischen Oper, führt diese Tradition weiter, indem er die mutigsten Vertreter des Regietheaters verpflichtet, was dem Theater gerade den Titel „Opernhaus des Jahres 2007“ eingebracht hat. Auch dazu herzlichen Glückwunsch!

Der Geburtstag wird heute um 11 Uhr mit einem Festkonzert und um 19.30 Uhr mit der „Fledermaus“ (Regie: Homoki) gefeiert. Am 6. Januar präsentiert Wilfried Rott in der Komischen Oper eine DVD-Edition mit Felsenstein-Inszenierungen.

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