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Kultur: Der nachdenkliche Mörder

Nur eine Annäherung ist möglich.Woyzeck, der Füsilier, Titelfigur in Büchners Dramenfragment von 1836, entzieht sich jeder "gültigen" Deutung.

Nur eine Annäherung ist möglich.Woyzeck, der Füsilier, Titelfigur in Büchners Dramenfragment von 1836, entzieht sich jeder "gültigen" Deutung.Man mag in ihm den hoffnungslos Erniedrigten, Umgetriebenen, psychisch Kranken sehen, den mit letzter Energie sich Aufbäumenden, den klug Berechnenden, den ruhig Selbstbewußten - und wird damit immer nur hinter der Komplexität dieses von unten gekommenen, unten lebenden Soldaten zurückbleiben.Er trägt nicht nur das Schicksal eines Individuums, er ist gefangen im Nachdenken über die Visionen und Schrecknisse des Lebens, über mögliche Freiheit und zerstörende Abhängigkeit des Menschen überhaupt.Auch in schlimmer Demütigung bleibt Woyzeck den mächtigen Peinigern überlegen, sein klarer Blick schärft sich durch gesellschaftliche Niedrigkeit.Was er sagt und denkt, was er mit sich abmacht, erreicht die anderen nicht.Sie finden keinen Zugang zu diesem Reichtum, dieser Nachdenklichkeit, diesem Rigorismus, verbleiben in ihrer hoffnungslosen Durchschnittlichkeit.Woyzeck muß die Geliebte töten, weil sie ihm untreu wurde.Aber er ist der einzige, der Welt erlebt, der um den Kerker weiß, in dem alle stecken, der die "angeschmiedeten Hände und Füße" (Büchner in einem Brief) fühlt und dennoch einen Weg sucht.Weil er ihn nicht finden kann, trägt er die Konsequenzen, nimmt sich und Marie heraus aus dem Dasein, das keinen Platz für die Wissenden hat.

Auf der Probebühne des carrousel-Theaters vollzieht sich Woyzecks Schicksal in einer Schlucht, einem rechts und links von je zwei erhöhten Zuschauerreihen gesäumten blauschwarzen Graben mit Mauern, Eisengestängen, Treppen und Türen (Bühne/Kostüme: Frank Prielipp).Die kreisrunde Öffnung in der Mitte, ein Brunnen, ein Abgrund, ist mit einem Deckel verschließbar, einem Präsentierteller zur Ausstellung von kreatürlicher Absonderlichkeit verschiedenster Art.Hier findet der Zirkus statt, hier wird Woyzeck vorgeführt als das erbsenspeiende Versuchstier, von diesem Podest aus erlebt er die Untreue Maries.Arnim Beutel spielt dennoch nicht den hoffnungslos Unterworfenen.Er gibt Woyzeck eine stille Sicherheit, eine geschickt versteckte Beobachtungsgabe.Mitunter scheint es, als spiele der Füsilier mit den Mächtigen, gehe nur scheinbar auf ihre Bedingungen ein - im Denken, im Gespräch bleibt er gelassen und überlegen.Schöbels Bühnenfassung beginnt mit der Szene beim Hauptmann, der umständlich massiert wird."Er ist dumm, ganz abscheulich dumm", sagt der Hauptmann zu Woyzeck - und über Arnim Beutels Gesicht huscht ein Lächeln.Sein Füsilier leistet Widerstand, im Kopf, er ist ein Denker unter Schwätzern und der Mord an Marie keine unbeherrschte Gewalttat, eher schmerzliche Erkenntnis vom nicht möglichen Leben unter den absonderlichen Leuten in der Schlucht.Die junge Frau hat einen sauberen Tod im sanft fließenden Wasser des Brunnens, der sich dann wieder verschließt.

Das Ruhige, Bedachtsame bestimmt die Inszenierung mit einer Szenenfolge, die diesen verhalten entschlossenen Gang des Geschehens auch durch Einsparung von Figuren ermöglicht.Woyzecks Leben steht im Mittelpunkt, die anderen, Handwerker, Großmutter, Kamerad Andres, Hauptmann, Doktor und Tambormajor, arbeiten ihm zu, ziehen an ihm vorbei.Dietrich Pezold begleitet Woyzecks Daseins-Musterung mit einer intelligenten, einfühlsamen Musik, spielt selber mit, gibt die Tiere in der Budenszene, wird in eigentümlicher Weise zum Partner des Soldaten.Chiaretta Schörnig, die Marie, zeigt eine junge Frau ohne sprühende, heftige Leidenschaft, aber mit einer anmutigen, beherrschten Neugier auf das Leben - auch sie lebt aus Woyzecks Vorstellung heraus, in besonderer, verfremdeter Art.Wenn Hauptmann und Doktor mit farbigen, schweren Plasteklößen eine Art Boule zu spielen versuchen, wird solch spielerischer Umgang mit sozialen Gegebenheiten besonders deutlich - Manuel Schöbels Inszenierung besteht auf dem phantasievollen, dem intellektuellen Umgang mit böser Wirklichkeit.Das Märchen vom Kind, das vergebens zum Mond und zur Sonne aufbricht, erzählt die Großmutter (Petra Kelling) zum Schluß: "Da sitzt es noch und ist ganz allein." Wie Woyzeck, der Nachdenkliche, der Mörder.

Wieder heute (1.12.) und am 2., 14., 15.Dezember, jeweils 18.30 Uhr.

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