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Kultur: "Der Name": Kosmos der Monaden

Man könnte es die Geschichte einer Heimkehr nennen, aber das wäre wohl zynisch. Ein Mädchen kommt nach langer Zeit zurück in ihr Elternhaus, sie ist hochschwanger, hat den mutmaßlichen Vater des Kindes im Schlepptau.

Man könnte es die Geschichte einer Heimkehr nennen, aber das wäre wohl zynisch. Ein Mädchen kommt nach langer Zeit zurück in ihr Elternhaus, sie ist hochschwanger, hat den mutmaßlichen Vater des Kindes im Schlepptau. Widerwillig wirkt sie, voller Unbehagen, sie weiß nicht wohin mit ihrem wohl irgendwie verfahrenen Leben. Sie sucht einen Ort, an dem sie innehalten kann, wo sie erwartet wird. Sie sucht ein Zuhause. Doch ihre Eltern nehmen kaum zur Kenntnis, dass sie angekommen ist. Sie stellen keine Fragen, zeigen keine Freude, keine Sorge, keinen Zorn. Sie drücken, sie verdrücken sich einfach, winden sich wortlos herum um alles, was Menschen zu Mitmenschen macht. Und manchmal wirken diese zur Einsamkeit entschlossenen Figuren in ihrer sanftgewaltigen sozialen Unverträglichkeit wie seltsame archaische Reptilien, die unter ihrer Regungslosigkeit, ihrem Gleichgültigkeits-Panzer eine diffuse Angst verbergen: die Urangst des ungeborenen Kindes vor dem Nichtgewolltsein, dem Nichtgemeintsein, der Zurückweisung. Der Namenlosigkeit.

Man wird in dieser Spielzeit nicht vermeiden können, uns mit diesen unzugänglichen, ausflüchtigen Menschen eingehender zu beschäftigen, als sie es uns auf den ersten Blick zu erlauben scheinen. Denn ihr Schöpfer, der norwegische Autor Jon Fosse, ist zweifellos der Dramatiker der Saison. Viele sehen in diesem Verfechter einer minimalistischen, hypernaturalistischen, auf alle psychologischen oder soziologischen Erklärungsmuster verzichtenden Menschendarstellungskunst den derzeit führenden europäischen Theaterautor. Und die Schaubühne scheint sich, mit zwei deutschsprachigen Erstaufführungen, zur Hochburg des Fosse-Booms zu entwickeln. Im nächsten Frühjahr wird Thomas Ostermeier "Traum im Herbst" inszenieren, auch dieses wieder ein aus Schwermut und Finsternis gewobenes Stück. Aber schon seine deutschsprachige Erstaufführung von "Der Name" (koproduziert mit den Salzburger Festspielen und nun zum ersten Mal in Berlin zu sehen) offenbart, dass Ostermeier mit Fosses asketischer Erzählkunst zu sich selbst gefunden hat. Zu einem konzentrierten, alle inszenatorischen Imponiergesten sich verkneifenden Regie-Stil, der eine beklemmende Wirklichkeitsdichte erzeugt: Theater als in die Enge getriebenes Leben.

Die Aufführung zeigt eine vollständig ausgebrannte Familienhölle - vom Inferno, das in den hier hausenden Seelen getobt haben mag, bevor eine radikale Erloschenheit von ihnen Besitz ergriff, ist nicht einmal ein Funke übrig. Das Mädchen Beate (Anja-Marlene Korpiun), wirkt wie benommen von dieser erstickten Wut, wie betäubt von einer Traurigkeit, deren Urgrund verschüttet ist, dem Bewusstsein abhanden gekommen. Der Junge (Jens Harzer) flüchtet sich in einen kauzigen, kindlichen Autismus.

"Bricht ab" lautet eine der häufigsten Regieanweisungen Fosses, und diese Brüche, diese Abstürze ins Schweigen sind wie schroffe Klippen, offene Wunden. Abgründe, in denen sich das Unsagbare auftut. Und kein Halt, keine Haltung, wohin man auch blickt: Die Mutter (Stefanie Eidt) stützt ihre ganze Existenz auf ihr schmerzendes Bein und speist ihre an- und aussprachebedürftige Tochter mit den immer gleichen Konversationshäppchen ab. Der Vater (Hans Fleischmann), ein chronisch bettschwerer, geistig unbeweglicher Dumpfschädel, hebt nur mit Mühe seinen Blick über den Zeitungsrand. Die Schwester (Jule Böwe), ein lispelndes Süß- und Plappermaul, macht da noch den vitalsten Eindruck - und der halbstarke Stecher Bjarne (Thilo Koch) entwickelt für einen Moment sogar messianische Qualitäten: Als er das Mädchen in den Arm nimmt, wirkt diese ungezwungene körperliche Kontaktaufnahme, die einzige des Abends, wie eine ungeheuerliche Intimität, eine Erlösung. Dann aber schreckt auch er zurück und entzieht sich, peinlich berührt von der fordernden Anwesenheit, den Lebenszeichen eines anderen Menschen.

Ein letzter Blick auf das vom Bühnenbildner Rufus Didwiszus so nüchtern und spärlich möblierte Wohnzimmer, die abgelatschten Holzdielen, die nackten Wände, auf denen die Feuchtigkeit blüht. Dann senkt sich Dunkelheit über die klamme, beklommene, verstockte Szenerie, und nur der Regen klatscht noch gegen die Fensterscheiben, davor die schwarze Silhouette des verlassenen Mädchens.

Kein Trost. Nur noch einmal diese undurchdringliche, sich bis an die Schmerzgrenze dehnende Stille, der Thomas Ostermeiers Inszenierung sich so furchtlos anvertraut hat. Und dann der Jubel.

Meike Matthes

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