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Reif für's Museum: Ein Museumsmitarbeiter putzt am 27.01.2017 in Dresden in der Ausstellung "Die Welt der DDR" einen Saporoshez.

© dpa

Der Ost-West Konflikt in der deutschen Literatur: Endlich Milchschnitte!

Es herrscht ein anhaltendes Machtgefälle zwischen Ost und West in der Literatur. Vier Autor/-innen sprechen übers Schreiben in der DDR und nach der Wiedervereinigung.

Von Gregor Dotzauer

Im Grunde hat sich die Frage längst erledigt. Ob es noch zwei deutsche Literaturen gibt, nämlich eine ostdeutsche und eine westdeutsche, taugt allenfalls für identitätspolitische Scharmützel. Wenn man sie im Wissen, dass es schließlich auch seinen Sinn hat, von einer österreichischen und einer schweizerischen Literatur zu sprechen, aber hartnäckig und differenziert genug stellt, ist es erstaunlich, was sie im Moment ihres Verschwindens zu Tage fördert. Wo „Die DDR in der Literatur nach 1989“ steckt, hat kürzlich Germanistikstudenten der Universität Rostock beschäftigt. In vier langen, im Literarischen Colloquium Berlin geführten Interviews, die „Sprache im technischen Zeitalter“ (Nr. 220, Böhlau Verlag, Einzelheft 14 €) dokumentiert, geben vier Autoren und Autorinnen Auskunft über die Zuschreibungen, denen sie mal mehr, mal weniger offen ausgesetzt sind.

Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren, weiß spätestens seit seinem neun Jahre nach der Wende erschienenen Roman „Simple Storys“ besser als viele andere, wie sehr er „auf die Rolle des Ostdeutschen festgelegt“ wird – und daran natürlich eine Mitschuld trägt. Er müsse sich aber radikal damit auseinandersetzen, sonst fühle er sich erst recht gehemmt. „Um es auf die Spitze zu treiben“, sagt er: „Ich habe über einen Kollegen gelesen, er sei ,der Beste aus dem Osten“. Es käme nie jemand auf die Idee, über einen Autor zu sagen, er sei ,der Beste aus dem Westen’.“

Die Tiefen einer depressiven Denkblockade

Das vergiftete Kompliment zeugt vom anhaltenden Machtgefälle zwischen den Herkunftssphären, und darauf hinzuweisen, ist etwas anderes, als den überholten Argumenten von der kapitalistischen Landnahme neue Nahrung zu geben. Schriftstellern auf diesem Feld besonders ergiebige Einsichten zuzutrauen, hat einfach damit zu tun, dass sie von Berufs wegen besonders genau reflektieren, welchen Regeln die Umwandlung autobiografischer Erfahrung in fiktionale Stoffe unterliegt. Dies gleich in vier Varianten verfolgen zu können, samt Thomas Lehr als aus Westdeutschland zugereistem Mauerberliner, sorgt für eine erstaunliche Spannbreite. So erzählt die 1981 in Ostberlin geborene Dichterin Nadja Küchenmeister, wie sie ständig darum kämpft, von sich selbst wegzukommen, und doch auf Erlebtes oder das Hörensagen angewiesen bleibt. Schreiben ist für sie ein melancholischer Prozess, der nach dem greift, was in die Erinnerung der Anderen abgesunken ist und oft nicht einmal indirekt zur Verfügung steht: „Vielleicht wird man sogar stärker geprägt von dem, was man nicht erfahren hat.“

Wie anders die 1962 im anhaltinischen Köthen geborene, in einem „erzkommunistischen Elternhaus und vor allem Großelternhaus“ groß gewordene Erzählerin Kathrin Gerlof. Bis heute firm in den Klassikern des Marxismus-Leninismus, war sie bis 1989 reine Journalistin, „mit all den Amputationen, mit denen man in der DDR Journalismus betrieben hat“. Was ihr fehlte, dämmerte ihr jedoch erst 1986 und ging zunächst in den Tiefen einer depressiven „Denkblockade“ unter. Sie verweigerte sich jedem Zweifel an ihrem runden Weltbild.

Über vier Jahrzehnte haben sich Gesellschaften und Kulturen auseinanderbewegt

Die Risse kamen mit dem Verbot von Tengis Abuladses Film „Die Reue“, einer Abrechnung mit dem Stalinismus aus georgischer Sicht. Die innere Befreiung kam als Redakteurin des „Neuen Deutschland“, wo sie über Stasi-Auflösung, Feminismus und Bürgerbewegung berichtete. Für sie muss man den Gegensatz von Ost und West nicht künstlich aufrechterhalten: „Der ist ja da!“ Über vier Jahrzehnte hätten sich Gesellschaften und Kulturen auseinanderbewegt, „und dass die Bruchstellen immer noch deutlich sind, darüber bin ich ehrlich gesagt froh.“

Während ihr ein Hass auf die „Auswüchse und Ausbrüche der Konsumgesellschaft“ geblieben ist, brachte die Wende Nadja Küchenmeister das Glück, „endlich Knoppers, Milchschnitte und Hanuta essen“ zu können. In der Generation von Gerlofs 1986 und 1989 geborenen Kindern verlieren sich die Affekte. Wer all dies literaturhistorisch bearbeiten soll? „Ich würde vorschlagen, diese Geschichte von Franzosen und Polen, von Italienern und Ungarn schreiben zu lassen“, sagt Ingo Schulze. Die von außen sehen eben manches besser.

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