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In guten Zeiten. Paolo Gabriele im Papamobil mit dem Papst. Foto: Reuters

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Kultur: Der Papst und der Rabe

Vatileaks: Gianluigi Nuzzis Enthüllungsbuch bietet einen Blick auf das Innenleben des Vatikans.

Während Paolo Gabriele im vatikanischen Hausarrest seinem Strafprozess entgegenschmort, können sich nun auch deutsche Leser ein Bild davon machen, wofür der 46-jährige frühere Butler des Papstes eingesperrt wurde. Unter dem Titel „Seine Heiligkeit“ erscheint an diesem Montag in Deutschland jenes Buch, das in Italien seit Mai für Furore sorgt. Der Enthüllungsjournalist Gianluigi Nuzzi hat darin viele Dokumente veröffentlicht, die ihm Benedikts Kammerdiener auf illegale Weise zugespielt hat.

Dass Gabriele tatsächlich der im Untergrund wühlende „Maulwurf“ oder der diebische „Rabe“ war – die zoologische Einordnung wechselt –, versucht Nuzzi im deutschen Vorwort noch mit Hinweis auf den „gesetzlich verpflichtenden, journalistischen Informantenschutz“ zu vertuschen; in Interviews allerdings nennt er Benedikts Butler beim Namen. Und während selbst im Vatikan kein Mensch mehr an die Einzeltäterthese glaubt, flüchtet sich ausgerechnet Nuzzi in diese. Aus der „Quelle Maria“, die im Text zwar noch immer als „Gruppe von Leuten“ figuriert, „die das Unrecht im Vatikan dokumentieren und handeln wollen“, wird in der deutschen Überschrift nur mehr „Maria, der Informant“. Mag sein, dass Nuzzi auf dem Rücken Gabrieles weitere Zuträger schützen will; aber besonders geschickt dabei war er schon in der italienischen Ausgabe nicht.

Der Vatikan hat nicht versucht, die Publikation gerichtlich zu stoppen. Und deshalb gibt es sie nun auch auf Deutsch: jene internen Briefwechsel, die menschenverachtende Intrigen, finanzielle Misswirtschaft, politisches Machtstreben, Seilschaftswesen im Kirchenstaat und das Nichtwahrhabenwollen von sexuellem Missbrauch belegen. In ganz Vatikan-unüblicher, aber sachgerechter Weise verzichten diese Dokumente auf jede sprachliche Verbrämung durch frömmelnde Floskeln.

Vieles davon – etwa die Einmischung in die italienische Politik – ist eher für Italiener interessant; das versprochene „Bonusmaterial“ für Leser nördlich der Alpen fällt knapper aus als erwartet: Dass sich Benedikt XVI. im November 2011 über die deutsche Verlagsgruppe „Weltbild“ geärgert hat, die – obwohl im Besitz deutscher Diözesen – „2500 erotische und esoterische Titel“ führte, wusste man schon vor Veröffentlichung der internen Aktennotiz.

Neu ist daran nur die handschriftliche Anweisung von Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein: „Der Papst hat entschieden: Es muss sofort gehandelt werden.“ Tatsächlich: Noch im selben Monat beschloss die Deutsche Bischofskonferenz, sich „ohne jeden Verzug“ von ihrem hochprofitablen, dem zweitgrößten Medien-Handelshaus in Deutschland zu trennen. An der praktischen Umsetzung arbeiten sie allerdings noch heute: Erst im Juni 2012 hat die Weltbild-Gesellschafterversammlung beschlossen, das Unternehmen in eine Stiftung öffentlichen Rechts umzuwandeln; die Einzelheiten sollen „in den kommenden Monaten“ ausgehandelt werden.

Zu Nuzzis deutschem Sondergut gehört ein Brief, in dem sich der Apostolische Nuntius, der Papst- Botschafter in Berlin, über den eigenen Laden empört. Da schreibt Erzbischof Jean-Claude Périsset nach Rom, einer (in Freiburg) beantragten Ausstellung von Uniformen der Schweizergarde stehe nichts im Wege. „Ich wundere mich, dass in einer so unbedeutenden Angelegenheit die Ansicht des Apostolischen Nuntius eingeholt wird, während viele andere Themen ohne vorherigen Kontakt entschieden werden.“

Ohne dass Nuzzi es erwähnt, wird in der Veröffentlichung dieses eher kuriosen Schreibens eines der größten Probleme deutlich, die für den Kirchenstaat mit den „Vatileaks“ verbunden sind: Zahlreiche päpstliche Botschafter, so heißt es in Rom, trauen sich nicht mehr, vertrauliche oder einfach nur unverblümte Briefe an den Vatikan zu schreiben. Sie können schließlich nicht mehr wissen, was nach außen durchsickert.

Nuzzis Buch bleibt unvollständig, und man wünschte sich, der Verlag würde den deutschen Lesern – wenigstens per Internet – auch die neuen Papiere zum „Fall Gabriele“ vorlegen, die der Vatikan auf Italienisch ins Internet gestellt hat. Das bedeutendste unter ihnen ist jener Beschluss, mit dem der vatikanische Untersuchungsrichter das Strafverfahren gegen Benedikts Butler einleitet; darin wird auch die Verstrickung anderer Personen deutlich. Aufschlussreich wäre auch der Hinweis, auf den die vatikanische Staatsanwaltschaft Wert legt: Die Ermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Nur eines steht fest: Seit Gabrieles Verhaftung sind keine neuen Vatikandokumente an die Öffentlichkeit gelangt. Weil das Loch gestopft ist? Oder die anderen Informanten während der Ermittlungen vorsichtshalber abgetaucht sind?

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