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Kultur: "Der Park": Tabus vergiften im Park

Wo fängt man bloß an, bei Ueli Etters Projekt "Der Park"? Die über die Wände gestreuten Zeichnungen und Skizzen bilden eine verwirrende Topographie.

Wo fängt man bloß an, bei Ueli Etters Projekt "Der Park"? Die über die Wände gestreuten Zeichnungen und Skizzen bilden eine verwirrende Topographie. Soll man zuerst den Pfeilen der "Big Gender Junction" folgen, die in vier Richtungen weisen, als ob man an dieser Kreuzung sein eigenes Geschlecht neu wählen könnte? Das Auge fühlt sich vielleicht eher angezogen von den zart aquarellierten Kaskaden des "Swell Fountain", bis man bei näherem Hinsehen entdeckt, dass ein kleines Männchen am Rand steht und vor sich hinpinkelt. Wagt man sich in die dämmerigen Gänge des Casinos, die sich tief hinabschrauben in verschlungene Dunkelheiten? Oder geht man lieber gleich weiter zur glitzernd gestreiften Fröhlichkeit des "Circus Exitus", dessen Ornamente aus Scheren und abgeschnittenen Körperteilen gebildet werden?

"Der Park" bebildert eine megalomane Phantasie. Er ist gruselig, komisch, verführerisch, verwirrend, verschlingend, ausufernd, witzig, gemein, geheimnisvoll. Er ist eine Landschaft des Vergessens: In den runden Raumkapseln der "White Therapy" unterstützen Hostessen die Gäste dabei, in rauschhaften und meditativen Übungen das auszuradieren, was zwischen Sonnenaufgang und -untergang geschehen ist.

Seit fünf Jahren arbeitet Ueli Etter an diesem Park. Mit jedem erfundenen Raum eröffnet er eine neue Bühne emotionaler Prozesse. Disneyland hat Etter nie besucht, aber lange stand der Künstler, der heute in Israel lebt, in der Berliner Kneipe "Kumpelnest" hinter der Theke. "Jede Bar ist eine Einladung für Geschichten", meint er. Er führt diese Geschichten nicht aus, aber die Räume, die er zeichnet und mit Details ausschmückt, scheinen von dem Echo ihrer Wünsche und Ängste geformt, von Begehren und Verboten.

Ueli Etter stammt aus der Schweiz und erzählt, wie sich dort das Wandern in den Alpen in den letzten 25 Jahren in einen risikoreichen Extremsport gewandelt hat. "In der Saison kann man da in der Zeitung fast täglich von Verunglückten lesen." Sich Lebensgefahr auszusetzen, nur um eine besondere Erfahrung zu machen: Etter hat diesen Wahnsinn nicht erfunden, er existiert als Teil der Tourismus- und Freizeitindustrie. Als ob überschüssige Lebens-Energie, die nicht mehr in produktive Arbeit umgesetzt werden kann, möglichst auf schnellstem Wege abgebaut werden sollte. "Der Park" treibt diesen Kult um das Ausreizen der eigenen Erfahrungsgrenzen auf die Spitze. Hier wird noch der eigene Tod zum Konsumartikel. "Wer den Park betritt", sagt Etter, "gibt sein Interesse daran auf, ein Teil der Gesellschaft zu sein."

Aber in der sarkastischen Kulturkritik allein erschöpft sich der "Park" nicht. Er ist auch ein gigantischer Anlass zu zeichnen, skizzieren, Stile zu paraphrasieren, Motive in verschiedenen Techniken zu bearbeiten. 15 Jahre lang habe er kaum gezeichnet, erzählt Ueli Etter, seit er im Grundstudium an der Hochschule der Künste Berlin den Spaß daran verloren hatte. Stattdessen stellte er Installationen aus, zum Beispiel aus 300 Neonröhren im Künstlerhaus Bethanien, die den Ausstellungsbetrieb selbst zum Thema hatte. Auch der "Park" besteht aus Entwürfen für Installationen und Skulpturen, die ausschnittsweise durchaus realisiert werden können. Der Reiz aber liegt in ihrer Einbindung in die fiktionale Landschaft und der Komplexität eines gesamten Park-Systems.

Viele der Skizzen hat Ueli Etter am Computer weiterbearbeitet, verfremdet und dann wieder gezeichnet. Dieser Wechsel zwischen technischer Perfektion und handschriftlicher Vorläufigkeit macht einen großen ästhetischen Reiz der Ausstellung aus. Die Spanne der Bearbeitungsformen unterstützt die Fiktion, dass ein ganzes Büro von Architekten, Planern, Visionären und Chronisten mit dem Park beschäftigt ist. Als Anteilsscheine dieser Fiktion werden die Skizzen zu Preisen zwischen 600 und 2400 Mark angeboten. Blätter aus einer Auflage von Offsettdrucken und Silkscreens kosten 800 Mark. Für alle Fälle aber sollte man sich mit dem Parkführer ausstatten, erschienen im Vice Versa Verlag, dessen Landkarten die Orientierung erleichtern. Zweisprachige Texte von Parkreisenden ergänzen die visuelle Vision.

Katrin Bettina Müller

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