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Kultur: Der Pfaffenspiegel eines Moralapostels Berliner Lektionen: Goldhagen verteidigt sein Antikirchen-Buch

Schnee von heute treibt mit weißen Regenflocken die Matinee-Gäste zum Renaissance-Theater. Polizei.

Schnee von heute treibt mit weißen Regenflocken die Matinee-Gäste zum Renaissance-Theater. Polizei. TV-Kameras. Auf dem Foyer-Tisch liegen Bücher, welche – erklärt der Buchhändler – nicht ausgeliefert, aber verkauft werden dürfen. Gegen Daniel Goldhagens neuestes Werk „Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne“ hat das Münchner Ordinariat eine Einstweilige Verfügung erwirkt, auf Grund einer falschen Bildzeile. Jetzt spricht der Autor des zu Bertelsmann gehörenden Siedler Verlages im Rahmen der Berliner Lektionen, die der Medienkonzern mit den Berliner Festwochen veranstaltet; von der falschen Bildzeile ist dabei nicht die Rede. Aber als dem Amerikaner, durch seine Kontrahenten auf dem Podium, Unwissenschaftlichkeit nachgewiesen wird, reagieren Zuhörer im Parkett gereizt. Das sei, unerhört, eine Anklage Goldhagens! Hysterische Parteinahme. Buhs. Schäumende Emotionen.

Goldhagen ist zunächst die Sympathiefigur der Veranstaltung. Coole Klamotten, smarte Igelfrisur, politisch korrekte Textbausteine. Weder ein historisches Buch habe er schreiben, noch die Kirche attackieren wollen, sagt er unaufgeregt. Diese Institution diene ihm nur als Fallbeispiel für eine philosophische Abhandlung über Wiedergutmachung: über deren moralischen, nicht über den finanziellen Aspekt. Die Kirche könne ihrem Selbstanspruch nur gerecht werden, wenn sie alle judenfeindlichen Bibelverse eliminiere. Manche Sätze des soften Anklägers, der keiner sein will, erhalten Applaus. Aber Goldhagen eiert zurück. Er lobt seinen schärfsten Kritiker auf dem Podium, den Präsidenten des Zentralkomitees der Katholiken, Hans-Joachim Meyer. Er unterstreicht, auch die Kirche lobe er ja in seinem Buch. Er wirbt um Zuwendung. Zuletzt will er nichts weiter gewollt haben, als eine Debatte anzuregen, die noch niemals geführt worden sei.

Zur Unterstützung des umstrittenen Star-Polemikers haben die Veranstalter in letzter Minute den Potsdamer Historiker Julius H. Schoeps aufgeboten, der dem Politologen Goldhagen prinzipiell beispringt, indem er darlegt, die jüdische Perspektive der Historie sei nun mal eine andere als die christliche. Ebenfalls im Nachhinein eingeladen wurde Georg Denzler; der Kirchenhistoriker und verheiratete Priester muss den Berlinern erst mal erläutern, dass Konservative ihn für einen Nestbeschmutzer halten, damit seine Goldhagen-Schelte (er vergleicht das Buch mit der Hetzschrift des „Pfaffenspiegel“) nicht als Kleriker-Apologie abgestempelt wird. Auf solche, die Personality-Vermarktung des Medienbetriebes bedienende biografische Vermittlung verzichtet der streitbare Sachse Meyer. Er lässt keinen Zweifel daran, dass „die Christen“ im „Dritten Reich“ versagt hätten und dass die katholische Kirche viel zu sehr auf ihren eigenen Schutz bedacht gewesen sei. Goldhagens „agitatorisches Pamphlet“ jedoch ignoriere die meisten Debatten, Dokumente und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, es sei Anklage, Plädoyer und Urteilsspruch zugleich.

Anfangs gibt Meyer den professoralen Buhmann. Später gewinnt er mit penetranter Präzision die Achtung des Auditoriums. Als der Disput sich allerdings konkret dem jüdisch-christlichen Dialog zuwendet, ist das schlagabtauschfixierte Publikumsinteresse schon verbraucht. Ein miserabel lektoriertes Buch, das Kalkül eines seriösen Verlages mit der öffentlichen Vergesslichkeit in shoahbusiness-Zeiten, ein hübscher Moralapostel: Und doch wird kein showdown aus dem event. Die zeitlos relevanten Fragen aber (Haben Bischöfe weniger Recht, feige zu sein, als andere Katholiken?) kommen auf dem Podium nicht vor. Als wäre der Holocaust – wer überhaupt hat eigentlich das Recht, feige zu sein? – Schnee von gestern. Thomas Lackmann

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