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Piotr Anderszewski

© Ari Rossner/Warner Classics

Der Pianist Piotr Anderszewski: Luftgeister

Im Berliner Konzerthaus spielt der 45-jährige polnische Pianist Piotr Anderszewski Klaviermusik von Bach, Schumann und Szymanowski. Dabei ist er vor allem darauf bedacht, die Werke atmosphärisch aufzuladen.

Eigentlich schön, so ein abgedunkelter Saal. Niemand klatscht zwischen Schumanns „Geister-Variationen“ und der Fantasie op. 17, so hoch ist die Spannung. Konzentration bitte, und Kontemplation: Das Konzerthaus wird zur Kirche, das Recital-Programm mit Bachs Englischer Suite Nr. 3, Szymanowskis „Metopen“-Poemen und den Schumann-Werken zum sakralen Ritual – und Piotr Anderszewski zum freundlich-leichtfüßigen Zeremonienmeister. Zu viel Feierlichkeit ist zum Glück nicht seine Sache.

Der 45-jährige Pole – ein Stimmungszauberer und Hochromantiker unter den Pianisten seiner Generation – hat jedoch einen Gegner: die Akustik des Großen Saals. Sie sorgt dafür, dass schon Bach vor lauter Behändigkeit im Notenmeer ertrinkt. Weniger Pedal, mehr Gewicht auf den Tasten wären hier unerlässlich gewesen. Anderszewski packt Bachs g-Moll- Suite medias in res bei den Hörnern, spart noch weniger als auf seiner aktuellen Einspielung der Englischen Suiten mit Rubati, Laut-leise-Effekten und emotionalen Extremen – und transformiert die Sarabande damit zur Impro-Ballade.

Bei Szymanowskis Odysseus-Poemen funktioniert das schon eher. Anderszewski lässt die Luftgeister tanzen und evoziert Schemen vor flirrendem Horizont, pointillistisch hingetupfte, flüchtige Gebilde, von Trillern durchsetzt, bis zu den Kapriolen und Accelerandi im dritten, nach Nausicaa benannten Poem. Ein einziges Sich-Verlieren, eine einziges Hin und Weg – wenn Anderszewski nicht gleich wieder die Stille zwischen den Tönen zerdehnte, als gelte es, das Publikum im Saal in hypnotischen Bann zu schlagen.

Robert Schumanns berüchtigt schlichtes Thema nach der Pause – der Komponist unternahm während der Arbeit an den Variationen einen Selbstmordversuch, wurde jedoch aus dem Rhein gefischt – reduziert Anderszewski auf das In-sich-Kreisende, Ersterbende des Motivs. Atmosphäre statt Artikulation, Gefühl statt Gestalt: So geht es nahtlos weiter in der C-Dur-Fantasie, flächig, energetisch, eruptiv. Irgendwann wünscht man sich vor lauter Traumverlorenheit dann doch Licht im Saal. Auch Wachsein kann schön sein.

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