zum Hauptinhalt

Kultur: Der Pony sitzt perfekt

Den Freigeistern unter den Medienkonsumenten schien Kurt Becks Attacke auf den Bart von Henrico F. im Dezember ein bizarrer Exzess sozialdemokratischen Spießertums.

Den Freigeistern unter den Medienkonsumenten schien Kurt Becks Attacke auf den Bart von Henrico F. im Dezember ein bizarrer Exzess sozialdemokratischen Spießertums. Doch in der Wunderwelt des Dienstleistungsgewerbes gehört Unterordnung unter den Kundenwunsch zum Berufsbild. Marineblaue Hose, kein Schmuck, haarfreier Hals und mindestens 15 Millimeter Abstand zwischen Augenbrauen und Pony sind bei einem global agierenden Pizza-Auslieferer Pflicht. Doch nicht jeder ist bereit, sich für einen Hungerlohn zum Clown zu machen. Überhaupt verträgt sich schlecht bezahlte Arbeit kaum mit einem menschenwürdigen Leben. „30 Jahre Betriebszugehörigkeit sind 30 Jahre Sklaverei und mentale Repression“, sagt ein Ex-Michelin-Arbeiter. Jetzt lebt er von Sozialhilfe und ist angeblich glücklich dabei.

Er und andere Jobverweigerer kommen zu Wort in der französischen Doku Attention Danger Travail (Mittwoch im Eiszeit-Kino), deren Titel man getrost wörtlich nehmen kann. Das Besondere: Die glücklichen Arbeitslosen sind Menschen, die viele Jahrzehnte in meist miesen Jobs geschuftet haben. Aber schon werben die Herren vom Arbeitgeberverband fleißig für eine Regelverschärfung und propagieren das Glück der Selbstentfaltung durch Arbeit. Ob sie damit Putzen und Pizzafahren meinen?

Der nachhaltigste ideologische Effekt der Dauerarbeitslosigkeit: Lohnarbeit ist in unseren Herzen und Köpfen zum Wert an sich geworden. Umso erfreulicher, dass jetzt die Bundeskulturstiftung auch abweichenden Stimmen eine Plattform gibt. Work in Progress heißt schön vieldeutig das von den Freunden der Deutschen Kinemathek realisierte Projekt, das Kinos und Filminitiativen aufforderte, sich mit regionalen Konzepten zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft um Förderung zu bewerben. Drei Berliner Kinos sind erfolgreich aus dem Wettbewerb hervorgegangen. Das Eiszeit beginnt heute mit Laurent Cantets böser Fabrikgeschichte „Ressources Humaines“ (1999). Das selbst verwaltete Kino in der Regenbogenfabrik propagiert auch filmisch die Arbeit im Not-for-Profit-Sektor und eröffnet Mittwoch mit einem Tag der offenen Tür und einem Abend zur eigenen Projektgeschichte. Und als drittes Kino im Bunde widmet sich das Krokodil den Wandlungen des sowjetischen Arbeitsbegriffs von den zwanziger Jahren bis heute.

Zur Startseite