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Kultur: Der Prediger

Wiedergefunden: ein Interview mit Steve Jobs.

Doch, man hört diesem Mann gerne zu, und nein, es ist kein Etikettenschwindel, den VHS-Mitschnitt eines alten, für eine Fernsehproduktion geführten Interviews von 1995 nun als „Steve Jobs: The Lost Interview“ in die Kinos zu bringen. Denn erstens ist es tatsächlich spannend, dass da mal nicht der Konzernchef Jobs spricht, sondern einer, der zum Zeitpunkt des Interviews noch nichts von seiner triumphalen Rückkehr zu Apple wenig später und dem Aufstieg zum Technikvisionär schlechthin wusste. Und zweitens: Ja, da ist etwas, was zu mehr taugt, als den kryptoreligiösen Apple-Jüngern kurz vor Jobs’ erstem Todestag am 5. Oktober Kinos als Wallfahrtsorte darzubieten.

Schließlich ist es die Traumwelt dieser Jünger, die sich in Jobs’ ebenso langen wie pointierten Monologen verflüchtigt. Unwillkürlich zeichnet seine scharf tönende Stimme die Konturen einer Weltsicht, die den Glauben an das Erlösungspotenzial von Technik mit der Behauptung paart, man beschäftige sich mit ihr nicht um ihrer selbst willen. Genau das wird subtil demaskiert. Überall dort nämlich, wo Jobs mit kindlichem Staunen über Dinge redet, die funktionieren. Das begeisterte „It worked“ ist der Ausruf, der das Gespräch taktet. Jobs, so scheint es, ging es eigentlich immer um jenes Gefühl von Überlegenheit und Erweiterung des eigenen Körpers, das er anhand seiner ersten technischen Errungenschaft, einem Gerät zur Überlistung der Kostenzähler des amerikanischen Telefonnetzes, schildert: „Wir konnten etwas bauen, das in der Lage war, eine Infrastruktur mit Milliarden Dollar Wert zu kontrollieren.“

Wer den Film auf diese Weise sieht, wird Ansätze finden, den für Apple-Fans schwer zu verstehenden Schritt vom Underdog zum protektionistischen Giganten nachzuvollziehen. Hier geht es – im Technischen wie im Wirtschaftlichen – nur darum, Systeme zu erschaffen, die den Menschen reizen, um ihn an sich zu binden. Nach 65 Minuten, in denen auch mal launig gegen Microsoft ausgeteilt wird, deren Produkte Jobs „geschmacklos“ nennt, weil sie nicht den „Geist der Aufklärung“ in sich tragen, hat Jobs merklich an Kontur gewonnen. Er begriff seine Arbeit als Kunst, stand aber nicht – wie ein Künstler – mit den Materialien in Widerstreit, sondern affirmierte das Objekt Personal Computer grundlegend als „größte Leistung der Evolution“. Die Aufklärung, die Jobs meint, hinterfragt sich selbst und ihre Produkte nicht. Ihr Geist ist tief religiös und das Interview eine große Predigt. Johannes Schneider

Babylon Kreuzberg, Cinema Paris, CinemaxX Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain (jeweils OmU)

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