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Kultur: Der Prophet gilt nichts

Am Ende ist es doch so gekommen, wie die meisten erhofft hatten: Das Rennen um den "Golden Baton", den goldenen Taktstock, hat nicht der im Ausland weit mehr als in Berlin gefeierte senior conductor Daniel Barenboim, sondern der fünfzehn Jahre jüngere Sympathieträger Simon Rattle gemacht. Und das, obwohl in Rattles englischer Heimat die Wettquoten der Fachpresse haushoch zugunsten seines Konkurrenten gestanden hatten, und im angesehenen "Guardian" sogar noch nach der Wahl behauptet wurde, bis zu seinen beiden Berliner Konzerten im Juni habe Rattle nicht einmal als ernsthafter Kandidat gegolten.

Am Ende ist es doch so gekommen, wie die meisten erhofft hatten: Das Rennen um den "Golden Baton", den goldenen Taktstock, hat nicht der im Ausland weit mehr als in Berlin gefeierte senior conductor Daniel Barenboim, sondern der fünfzehn Jahre jüngere Sympathieträger Simon Rattle gemacht. Und das, obwohl in Rattles englischer Heimat die Wettquoten der Fachpresse haushoch zugunsten seines Konkurrenten gestanden hatten, und im angesehenen "Guardian" sogar noch nach der Wahl behauptet wurde, bis zu seinen beiden Berliner Konzerten im Juni habe Rattle nicht einmal als ernsthafter Kandidat gegolten. Hartnäckig wurde dafür im Vorfeld der Wahl des künftigen Philharmoniker-Chefs auf Barenboims Erfahrung mit dem "großen" Repertoire hingewiesen, auf seine starke Position auf dem CD-Markt und sogar auf die mögliche kulturpolitische Signalwirkung eines jüdischen Chefs an der Spitze der "Berliner" - und die Begeisterung der deutschen Kritiker für Rattle mit kaum verhohlenem Erstaunen zur Kenntnis genommen.

Der Prophet, so scheint es, gilt eben immer noch nichts im eigenen Land - vor allem in einem Land, das sich so stark über seine kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen definiert wie Großbritannien. Ein Land, in dem man eher an die Pflege dieser durch kulturpolitische Sparmaßnahmen chronisch bedrohten Traditionen denkt als an ihre Erneuerung und in dem sich selbst die Londoner Eliteorchester mit Filmmusik-Einspielungen über Wasser halten müssen. Denn der Subventionsanteil der britischen Orchester überschreitet oft kaum zehn Prozent des Gesamtbudgets, selbst für Ensembles mit jahrzehntelanger Tradition gibt es keinerlei institutionelle Absicherung. Deutschland erscheint da vor allem als Kulturparadies, als Ort, an dem ein Orchesterklang über Generationen weitergereicht werden kann.

Gewiß, ein stark idealisiertes Bild, das eher an die Black-Forest-Romantik der viktorianischen Groschenromane erinnert als an die deutsche Orchesterrealität. Es erklärt aber auch, warum gerade Daniel Barenboim und die Staatskapelle bei ihrem London-Gastspiel mit Beethoven-Sinfonien und -Klavierkonzerten vor einigen Jahren enthusiastisch gefeiert wurden - als Wahrer der Deutschen Musiziertradition und würdige Erben Furtwänglers. Eine ähnliche Wertschätzung wird in England unter den jüngeren Dirigenten sonst nur noch Christian Thielemann zuteil, dem Generalmusikdirektor der Deutschen Oper. Auch er ist ein Traditionalist, der sich vor allem über das deutsche Repertoire definiert - und aus englischer Sicht durchaus als ernstzunehmender Bewerber um die Abbado-Nachfolge galt.

Daß Simon Rattle gerade seine mangelnde Vertrautheit mit dem klassischen Kernrepertoire von Beethoven bis Bruckner angekreidet wurde, verwundert da nicht: Experimentelle, unkonventionelle Werksichten stimmen schlecht mit dem vertrauten Bild deutscher Kultur überein, genausowenig wie ein lebhafter Wuschelkopf statt eines herrischen Taktstock-Autokraten am Pult der Philharmoniker.

Daß der gelernte Schlagzeuger aus Liverpool nun den Berliner Dirigierthron erklommen hat, könnte langfristig allerdings positive Auswirkungen auf das nostalgische Deutschland-Bild der Engländer haben, ihnen zeigen, daß die Deutschen vielleicht gar nicht so deutsch sind, wie sie die Engländer aus der liebevoll gehegten Erinnerung an Kriegszeiten gerne hätten - und das Nationalitätszugehörigkeiten heute einfach eine geringere Rolle spielen als zur Zeit des British Empire. Im Moment sieht es freilich eher so aus, als würden durch die Rattle-Wahl wieder gerade die patriotischen Gefühle hervorgerufen, für deren Überwindung Kunst eigentlich zuständig sein sollte. "Germany embraces best of British" (Deutschland umarmt die Besten Großbritanniens) titelte der "Daily Telegraph" bereits halb stolz, halb warnend: Reichstagsarchitekt Norman Foster, Münchens Opernintendant Peter Jonas und Modeschöpferin Vivienne Westwood - Rattles Abgang, gegen den schon im Vorfeld eine Kulturinitiative lief, die ihn mit lukrativen Angeboten an die Britische Insel zu binden versuchte, wird da zum letzten, krönenden Beispiel für den Exodus britischer Kulturschaffender nach Deutschland hochstilisiert. Daß die genannten Künstler von Rattle bis Westwood ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben, wundert da freilich kaum noch. Wahrscheinlich wollten sie einfach nur nach Europa.

JÖRG KÖNIGSDORF

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