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Kultur: Der Rembrandt-Code

Die Gemäldegalerie huldigt der Aura des Künstlers – und die Forschung ist so uneins wie nie

Das Licht. Weiß, kühl, einheitlich fällt es von oben, erhellt die so ungünstigen, tageslichtlosen Kellerräume der Sonderausstellungshallen im Kulturforum. „Das Licht war das Wichtigste“, erklärt Ausstellungsarchitekt Hansjörg Hartung, der die beiden Geschosse in eine edle dunkelgrüne Arena verwandelt hat. Viel Licht für den Lichtmaler Rembrandt. Und vor allem: neutrales Licht.

Nichts mehr vom wohlig warmen Schauer, vom berühmten Goldton, dem heimelig freundlichen Galeriegefühl, das man jahrhundertelang mit Rembrandt verbunden hat. Der Goldmaler, der Braunmaler, der Warmmaler: vorbei. Blasser sehen die Bilder aus, klassischer, kühler. Strahlend weiß leuchtet das Dekolleté der „Jungen Frau mit Schoßhündchen“ aus Toronto, müde und erschöpft blättert der Gelehrte Johan Comenius in seinen Büchern, blass und verhärmt sieht Saskia auf dem Berliner Bild den Betrachter an. Der große Menschenfreund Rembrandt entpuppt sich als kalter Analytiker.

Die Beleuchter in Berlin arbeiten mit speziellen Filtern, um den sonst üblichen Gelbton zu verhindern, der bei den konservatorisch geforderten niedrigen Luxzahlen entsteht. Das Ergebnis: Man sieht sehr klar. Sieht auch, ungeschützt, die verschiedenen Konservierungszustände der aus aller Welt zusammengesuchten Meisterwerke, hier einen glänzend neuen Firnis, dort fleckige Altaufträge, hier der Versuch früherer Restauratoren, Hände und Gesicht besonders zum Leuchten zu bringen, dort Patina, die sich mit dunklem Schleier über das Bild gelegt hat. Manches Bild, auch aus dem reichen, 21 Rembrandts umfassenden Bestand der Berliner Gemäldegalerie, sieht im direkten Vergleich etwas ungünstig aus.

Technische Fragen? Gewiss. Aber genau die Fragen, mit denen sich die Forschung jahrzehntelang beschäftigt hat. Immer ging es um den Farbauftrag, um eine besondere Schraffur, um Grundierung oder Bildoberfläche, um Vorzeichnungen, Verbesserungen oder das Finish. Wie, wenn nicht an der Technik, wollte man die bei Rembrandt besonders schwierige Frage der Eigenhändigkeit entscheiden? Die berühmte „Kennerschaft“, das in jahrelanger Beschäftigung mit dem Künstler erworbene „Bauchgefühl“ der Forscher, auf das gerade bei Rembrandt immer als letzte Rettung zurückgegriffen wird, soll doch zumindest eine wissenschaftliche Grundlage haben.

Kaum ein Maler dürfte inzwischen so gut untersucht sein wie Rembrandt. Jetzt, wo in Berlin zum 400. Geburtstag die wichtigste, umfangreichste, glanzvollste Ausstellung des Jubiläumsjahrs zu sehen ist, zeigt sich: Es ist alles noch viel unklarer geworden. Gewiss sind, vor allem durch die Forschungsarbeit des „Rembrandt Research Project“ um den niederländischen Kunsthistoriker und Ko-Kurator Ernst van de Wetering, Schüler wie Ferdinand Bol, Carel Fabricius, Nicolaes Maes und Govert Flinck inzwischen gut bekannt. Ihr Werk, das lange Zeit Rembrandt zugeschrieben wurde, ist von seinem nun klar geschieden – diesen Forschungsstand hatte schon die RembrandtAusstellung 1991 im Alten Museum belegt. Gewiss weiß man heute weit mehr über Werkstattorganisation und Schule. Hat Kriterien für die Eigenhändigkeit gefunden. Und meint nun stolz den neuesten Stand der Forschung zeigen zu können. Eine Ausstellung, die, so Gemäldegalerie-Chef Bernd W. Lindemann, nicht nur wichtig, sondern „notwendig“ ist.

Und doch: Sieht man die 48 unbestritten eigenhändigen Rembrandts plus diverse anonyme Schülerarbeiten, darunter den berühmten „Mann mit dem Goldhelm“, in Berlin nebeneinander, zeigt sich Rembrandt einmal mehr als Meister der großen Verunsicherung. Weder lässt sich ein dunkler, von Depressionen geprägter Spätstil ausmachen, wie es der Ausstellungstitel „Ein Genie auf der Suche“ suggeriert. Noch kann man überhaupt so etwas wie eine klare stilistische Entwicklung erkennen. Abgesehen von den ganz frühen, in Leiden entstandenen, noch recht staffagehaften Historienbildern in der Tradition seines Lehrers Pieter Lastman gibt es aus allen Epochen: prächtige Historienbilder mit opulenten Kostümierungen wie die Prachtweiber Artemisia und Minerva. Eindringliche, realistische Porträts wie das wunderbar frische Mädchenbild aus Warschau und das Pendant, ein alter Mann. Freie, den Pinselstrich in Farbbrocken auflösende Studien wie ein Kinderbild seines Sohns Titus, der über seinem Schreibblock verträumt ins Weite blickt – der Block ist, geht man nah genug heran, nicht mehr als ein weißer Farbfetzen.

Und natürlich gibt es immer wieder die gnadenlos forschenden Selbstporträts, angefangen mit dem ganz frühen Jugendbild aus München, ein Lockenkopf mit bohrendem Blick, bis zu den prächtigen Spätbildern mit Samtkappe.

Das große Rätsel aber bleibt: Einen Rembrandt meint jeder zu erkennen. Und tappt damit gerade deshalb oft im Dunkeln. „Der Rembrandt-Code“, so gewohnt ingeniös der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, „ist noch lange nicht geknackt.“ Nur konsequent daher, dass die Gemäldegalerie auch die Namensschilder so blassgrün auf dunkelgrün druckt, dass schwer erkennbar ist, was Rembrandt ist und was nur Werkstatt. Zumal die Lage nicht eindeutig ist: Nicht weniger als 14 der in Berlin gezeigten Werke waren schon einmal abgeschrieben und sind inzwischen wieder zugeschrieben: „Der RembrandtCorpus atmet. Im Moment wächst er wieder“, formuliert es Jan Kelch, langjähriger Direktor der Gemäldegalerie, dessen spätes Abschiedsgeschenk diese Ausstellung ist. Auch van de Wetering, der mit seinem „Rembrandt Research Project“ lange zur Dezimierung des Œuvres beitrug, rudert nun wieder zurück – und besteht zudem darauf, dass jenseits aller technischen Untersuchungen allein Qualität das entscheidende Kriterium sei. Nur: Wie will man die messen?

Klar zu erkennen sind Differenzen nur, wo sich Meister- und Schülerarbeit direkt gegenüberstehen. Berlin zeigt gleich in drei glücklichen Fällen, wie Schüler ein Bild Rembrandts kopierten und dabei nach Geschmack veränderten: Bei „Simson bedroht seinen Schwiegervater“ kommen in der Kopie zwei kleine Mohren und ein Ziegenbock hinzu – die wuchtige Geste, mit der Simson den alten Mann mit der Faust bedroht, wirkt hingegen abgeschwächt, nur noch als Pose. Ähnlich bei dem Berliner Meisterwerk „Die Verleumdung Josephs durch die Frau des Potiphar“: In der Kopie steht Joseph brav neben dem Bett, statt hinter dem Vorhang zu lauschen – und Potiphar zieht seiner Frau züchtig das Gewand über die bloße Schulter. Die „Nachtwache“, Rembrandts Hauptwerk, das allein schon wegen seiner Größe nicht ausgeliehen werden konnte, ist dafür in einer Kopie zu sehen, die den unbeschnittenen, unverstümmelten Ursprungszustand und damit die genial bewegte Komposition zeigt.

Am Ende triumphiert, jenseits aller Debatten, der grandiose Porträtist. Weniger die Forschung, mehr die Aura des einzigartigen Künstlers wird in Berlin gefeiert. Schier endlos die Abfolge unvergleichlicher Werke, die jugendfrischen Mädchen und die weisen alten Männer, die Honoratioren und die intimen Bilder der geliebten Frauen Saskia und Hendrickje. Vieles davon ist seltene, kostbare Leihgabe. Und wie ein Heiligtum ist in die Mitte ein Raum-Kabinett gestellt, in dem vier Porträts von Rembrandts (ein Jahr vor ihm verstorbenen) Sohn Titus gegenüberhängen: der verträumte Knabe mit dem Schreibblock und der gereifte, ernste junge Mann, der lesende Schüler und Titus als Franziskanermönch. Dieser Titus war Zeuge von Rembrandts schwierigsten Jahren. Der Maler hat ihm dafür ein Denkmal gesetzt.

Christina Tilmann

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