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Dimiter Gotscheff (1943–2013) Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Kultur: Der Rest ist Schweigen

Die Geschichte kommt nicht wieder: Trauerfeier für Dimiter Gotscheff am Deutschen Theater Berlin.

Jemand hat ins Kondolenzbuch geschrieben: „Mitko, wir kommen später nach“ – und die Stimmung an diesem Sonntagvormittag im Deutschen Theater bei der Trauerfeier für Dimiter Gotscheff recht gut getroffen. Der vor zwei Wochen im Alter von 70 Jahren gestorbene Regisseur wollte nie eine Vaterfigur sein; er nannte sich selbst lieber „Oma“. Aber er war der letzte der osteuropäischen, der Antike verbundenen Mohikaner. Es war im Saal zu spüren, ein kalter Wind. Etwas ist unwiderruflich vorüber mit dem Tod von Mitko, wie ihn Freunde und Kollegen nannten.

Nicht leicht zu sagen, was das ist, das er mitgenommen hat dorthin. Ein Theaterethos, das sich im Chaos versteckt. Ein Pathos, das aus dem Schweigen kommt. Ein tiefer Ernst, Weisheit vielleicht, die sich mit dreckigen Witzen tarnt – und umgekehrt. Eine Menschlichkeit, die der Tragödie die Hand reicht.

Man sitzt da und denkt: Mein Gott, warum hat auch er uns jetzt verlassen! Wer soll jetzt das Theater machen, an das wir uns in zwanzig, dreißig Jahren erinnern, und sei es bei solch traurigen Anlässen? Warum ist das Theater, das uns umgibt, nur groß und eindrucksmächtig und ehrlich im Beklagen seiner unfasslichen Verluste? Wovor fürchtet es sich?

Tief berührt steht Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters, am Rednerpult. Er kämpft mit den Tränen. Er ist nicht der Einzige. Worte helfen bis zu einem gewissen Grad. Aber sie müssen erst einmal artikuliert sein. Sätze über die Wirklichkeit – und dass wir sie immer aufs Neue verhandeln müssen, auf der Bühne. Nur der Tod, der lässt nicht mit sich handeln. Später wird Joachim Lux, Khuons Kollege vom Thalia-Theater Hamburg, wo Gotscheff viele Inszenierungen realisiert hat, mit leiser Stimme sagen: Mitko habe den Tod auf dem Theater bannen wollen, und die Tragödie ist ein Protest gegen den Tod.

In einem Halbkreis, auf schlichten Stühlen, hocken Schauspieler, Musiker, die Weggefährten. Nacheinander kommen sie an die Rampe, zögernd. Samuel Finzi, Gotscheffs Landsmann aus Bulgarien, raucht eine Zigarette für Mitko und erzählt, wie er ihm zum ersten Mal begegnet ist, als Kind. Wolfram Koch bringt Anekdotisch-Versautes, wie nur Wolfram Koch es kann. Margit Bendokat trägt eine Witwenkriegsgeschichte von Heiner Müller vor. Josef Bierbichler singt Gustav Mahler, „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Michael Thalheimer gießt rituell Rotwein aus. Sir Henry schweigt am Flügel mit John Cage. Schweigen, schlafen. Sie erzählen , wie Dimiter Gotscheff diese besondere Atmosphäre um sich herum aufbaute, ein Hinausdenken aus dem Betrieb an Orte der Geschichte.

Der Maler und Bühnenbildner Mark Lammert erinnert an Epidauros, wo Gotscheff 2009 noch einmal „Die Perser“ des Aischylos inszenierte, nach der legendären Produktion am DT. Wie sein Herz aufging in der Wärme der Steine, gesammelt in 2500 Jahren. Trauer und Energie, Tränen und Freude. Mitko war da. Angelockt von der Musik des Balkans, des Mittelmeeres, zart und schwer. Rüdiger Schaper

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