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Kultur: Der rote Faden ist gerissen

Soziale Abstiegsangst und Anpassungswut: Cornelia Koppetsch untersucht den neuen Konformismus.

Als Soziologin hat Cornelia Koppetsch alle möglichen Lebens- und Arbeitsbereiche erforscht. Die größte Resonanz fanden bisher aber ihre Untersuchungen zur Ambivalenz moderner Paarbeziehungen. Ihre jüngste Studie, in der sie die „Stimmungen und Bewältigungsstrategien“ einer Mitte erkundet, die Angst vor dem sozialen Abstieg hat, könnte das jetzt ändern. Doch welche Mitte kann das sein?

Zunächst stellt Koppetsch klar, dass sie als homogenes Großmilieu, das bis zu den 1990er Jahren als „moralischer Maßstab und gesellschaftlicher Ordnungsgeber“ wirkte, nicht mehr existiert. Heute erkennt sie einen Riss, der die obere Mitte von der unteren trennt. Um diese Wiederkehr der Klassen zu differenzieren, macht sie zwischen der privilegierten, akademisch gebildeten Oberschicht und der prekären, gering qualifizierten Unterschicht ein „modernes Kleinbürgertum“ ausfindig, das sie auf dem weiten Feld der wenig etablierten „Wissens-, Verkaufs- und Kulturberufe“ markiert.

Wer damit gemeint ist, versteht man durch die Diagnose: Es sind diejenigen, die sich aus Verlangen nach Sicherheit am beflissensten anpassen. Und zwar indem sie die eigene Person zu optimieren versuchen. Es geht um eine Selbststeigerung im Sinn der geltenden Normen von Wachstum, Wettbewerbs und Effizienz.

Der Befund, den die in Darmstadt lehrende Autorin mit dieser „Wiederkehr der Konformität“ verbindet, ist erschreckend. Wobei von einer Wiederkehr eigentlich keine Rede sein kann, weil es eine derart durchökonomisierte Gesellschaft noch nicht gab. Aber das tut nichts zur Sache – erst recht nicht bezogen auf das Leiden der Menschen, die Koppetsch in ihren „Fallstudien“ zeigt: junge Berufseinsteiger „jenseits von Rebellion und Weltverbesserung“, die nach dem Examen den Dauerzustand des Praktikantenstatus verkraften müssen. Aber auch Männer und Frauen, die noch im fünften Lebensjahrzehnt von Projekt zu Projekt taumeln – in der Arbeit wie in der Liebe.

Koppetsch ergänzt deshalb den Katalog der bekannten Seelenschäden. Zur BurnOut-Erkrankung und Depression kommt der „Drift“, ein Lebens ohne roten Faden, in dem es einem nicht mehr gelingt, sich kontinuierlich als ein mit sich selbst identisches Ich zu erfahren. Stattdessen schlüpft man als flexibles Beziehungswesen in verschiedene Rollen. Sollten die Menschen eines Tages so sein? Das wäre der Eintritt in ein transhumanes Zeitalter, ohne dass der Körper durch technologische Eingriffe verändert würde.

Doch zukünftige Entwicklungen deutet Koppetsch nur an. Sie konzentriert sich auf die vom Prinzip der Effizienzmaximierung durchdrungene Gegenwart. Ein Triumph der Ökonomie, der sich im Siegeszug der alternativen Bewegungen verstecken konnte: Die Kriterien der Autonomie und Selbstverwirklichung, der Kreativität und des ökologischen Bewusstseins – alles was im Zeichen des Fortschritts anfing – wurde sukzessiv den Strukturen einer Gesellschaft einverleibt, die heute wie „ferngesteuert“ läuft: eine Maschine im Modus der Wirtschaft. Widerstand erscheine zwecklos. Auch Kritik spielt „keine so große Rolle mehr“.

Koppetsch konstatiert das alles sachlich, als logischen Zusammenhang. Das Verschwinden der Intellektuellen samt „Kultur der Kritik und des Diskurses“ passt ja zur Konjunktur der Coaches und Therapeuten, nach denen Subjekte verlangen, die instinktiv spüren, dass Selbstzerstörung ein zu hoher Preis der Anpassung ist. Das alles ist eine ebenso plausible wie bedrückende Zeitdiagnose, die ohne Zynismus oder Klageton auskommt. Von der verschwundenen Gesellschaftskritik allerdings kann man doch noch etwas entdecken, etwa wenn Koppetsch die Wagenburgmentalität der Oberschicht skizziert.

Sie bleibt am liebsten unter sich, diskutiert über Biokost und privat finanzierte Bildung der Kinder, denen man Toleranz und Solidarität vermittelt. Denn Lippenbekenntnisse fallen leicht, solange man sie nicht an der Wirklichkeit misst – weil man beispielsweise den Zuzug von Geringverdienern über Mietpreise verhindert. Angelika Brauer

Cornelia

Koppetsch:

Die Wiederkehr

der Konformität.

Streifzüge durch die gefährdete Mitte.

Campus Verlag,

Frankfurt a.M. 2013. 199 Seiten, 19,90 €.

Angelika Brauer

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