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Kultur: Der sanfte Riese

Wie er für seine Autoren war – eine Erinnerung an Deutschlands bedeutendsten Verleger

Er war ein für viele, die nur seine mächtige Statur sahen, überraschend leiser Mann. Siegfried Unseld, der kolossale Verleger unter den Schöngeistern oder Nurkaufleuten, dröhnte nie, er sprach sein unverkennbares Schwäbisch immer sonderbar gedämpft und mit einem Zug ins Feierliche, Endsilbenbetonte - was manchen auch pastoral-pathetisch erschien. Und doch war es vor allem: Besonnenheit. Auch eine gewisse Zartheit, die herauswollte aus dem massigen Körper. Aus dem Erfolgsmenschen, dem Millionär, der er als einstiger Angestellter des Verlegers Peter Suhrkamp in dessen Nachfolge, aber letztlich aus eigener Kraft geworden ist.

Den Erfolg verdankt der Suhrkamp Verlag natürlich auch seinen beiden Backlist-Autoren Bertolt Brecht und Hermann Hesse. Vor allem Brechts internationale Theaterrechte und dann der Nachruhm und Welterfolg des „Steppenwolf“-Autors in den 60er/70er Jahren gaben Unselds Suhrkamp-Strategien die nötige finanzielle Sicherheit. Aber hinzu kam bei Siegfried Unseld die einzigartige Intuition: Sein Gefühl für literarische Qualität und deren optimale Vermarktung. Durch Taschenbücher, Reihen, Anthologien, Gesamtausgaben und Wiederauflagen.

Trotzdem war Unseld, in Person und Programm, nie der Marktschreier. Dezent, wie er sprach, so dezent war die Suhrkamp-Werbung, waren auch die immergleichen, die längste Zeit schwarzweißen Verlagsprospekte. Und doch konnte er schwärmen: Aber fast nie, soweit ich ihn erlebte, von eigenen Erfolgen. Er schwärmte von seinen Autoren. Denen er treu war bis in den Tod. Das ist keine Floskel. Er hat nie groß darüber gesprochen, dass er einem Schriftsteller wie Wolfgang Koeppen jahrzehntelang aus seiner Privatschatulle das Überleben sicherte und am Ende vierstellige monatliche Arzt- und Pflegerechnungen bezahlte. Und als sein größter lebender Autor, Samuel Beckett, Ende der 80er Jahre, so gebrechlich wurde, dass er in Paris ein düsteres, asylähnliches Altersheim beziehen musste, da hat ihn, kurz vorm Tod, der Verleger mit seiner Frau Ulla Berkéwicz besucht. Unseld war hiervon so ergriffen, dass ihm, wenn er davon behutsam erschüttert erzählte, die Augen feucht wurden.

Sein eigenes Haus, in dem er jetzt starb, ist entgegen allen Gerüchten bescheiden. Keine edlen Möbel, fast alle Räume von hellen, zweckmäßigen Bücherregalen gesäumt, von Hesse-Aquarellen - und als einziger wirklicher Blickfang in einer Sofaecke Andy Warhols ironische Hommage an Goethe (in der Campagna). Das großformatige Gemälde, heute Millionen wert, hatte er bei Warhol einst für 50 000 Dollar in Auftrag gegeben. Das war einer der seltenen Fälle, dass er in persönlichen Gesprächen eine größere Geldsumme erwähnte.

Nie redete er vom möglichen Tod. Selbst als er letztes Jahr doch seine Nachfolge regelte und einen Stiftungsbeirat einberief, sprach er rein hypothetisch: „Für den Fall, dass ich sterbe...“ Da mussten die Zuhörer (leise) lachen. Und nun ist es doch passiert, schon im Alter von 78 Jahren. Erst eine für viele mysteriöse Krankheit zwang ihn nieder. Manchmal konnte er, schwindelig, den Boden unter den Füßen nicht mehr spüren. Und der große Mann glaubte zu schweben. Er, der die Träume der anderen und die eigene Festigkeit liebte.

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