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Kultur: Der Scharfrichter

Doku (1): „Joe McCarthy – The Real American“.

Die McCarthy-Ära der frühen Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ist aus heutiger europäischer Sicht eine dunkle Zeit in der Geschichte der USA. Politische Rivalen wurden zu Feinden des Landes stilisiert, Paranoia griff um sich, in jeder Pore des staatlichen Körpers witterte der Senator Joseph McCarthy zu Beginn des Kalten Krieges versteckte Sowjet-Agenten. Und nun das: McCarthy soll im Grunde nichts gegen Kommunisten gehabt haben – er wollte einfach Karriere machen?

Diese verblüffende These vertritt Lutz Hachmeister, lange Jahre Leiter des Adolf-Grimme-Instituts und des Film- und Fernsehfests Cologne Conference, in seinem Doku-Drama – dabei laufen die aktuellen Debatten in den USA gerade in eine andere Richtung. Der „McCarthyism“ gilt nach wie vor als Symbol haltloser Hetze gegen politische Gegner, und in der Debatte um die Tea-Party-Bewegung wird diese Epoche immer wieder genannt.

„Joe McCarthy – The Real American“ allerdings geht auf die Wirkungsgeschichte dieser Epoche nicht ein. Stattdessen hält der Film sich an den durch die Biografie McCarthys begrenzten zeitlichen Rahmen. Dabei deutet er auch den Abgang des hemdsärmligen Senators anders, als es die Geschichtsbücher – und zuletzt auch George Clooney in seinem preisgekrönten Film „Good Night, and Good Luck“ – getan haben. Nicht erst der legendäre TV-Mann Edward R. Murrow soll McCarthy mit seinen scharfen Fragen definitiv zugesetzt haben, vielmehr sei McCarthy auf Geheiß von Präsident Eisenhower schon zuvor zum Abschuss freigegeben worden.

Dieses Ende – nach seinem politischen Niedergang soff sich der Senator zu Tode – wirkt im Film wie eine logische Konsequenz. Nicht die Kommunisten, sondern die politische Klasse der USA, die Armee und die CIA seien die eigentlichen Gegner des aufstiegshungrigen Senators gewesen. Dabei erscheint die „rote Gefahr“ vor allem als ein Vehikel für seinen Kampf um den Aufstieg in einer von „Ostküsten-Schnöseln“ beherrschten politischen Landschaft. Schließlich inszenierte sich der Bauernsohn aus dem Mittleren Westen als wahrhaftiger Patriot, als einer der „Real Americans“.

Zur Abrundung der Archivaufnahmen verwendet Hachmeister neben durchaus gelungen nachgespielten Szenen (mit John Sessions als McCarthy) zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen. „Ein Trunkenbold, ein Lügner, ein Publicity-Süchtiger, der nicht richtig wusste, wovon er redete“, sei der Senator gewesen, sagt der Journalist und legendäre „Watergate“-Aufklärer Carl Bernstein. Die konservative Autorin Ann Coulter hält dagegen: McCarthy habe „Amerika gerettet, bevor Ronald Reagan die Welt rettete“. Schade, dass die echten Experten Henry Kissinger und Ex-KGB-Mann Oleg Kalugin wenig Erhellendes beizutragen haben. Spannend herausgearbeitet ist andererseits die mit Hilfe neu entdeckter Archivdokumente nachgewiesene Überwachung McCarthys durch die CIA: Der Kämpfer für einen überwachenden Staat wurde von seinem Staat selbst überwacht.

Einleuchtend gelingt dem Film die Einordnung des Politphänomens McCarthy in die paranoide Nachkriegszeit in den USA. Der eskalierende Korea-Konflikt und der Aufstieg der „Roten Mächte“ Sowjetunion und China ängstigten damals die Menschen. Doch als der Republikaner Eisenhower 1953 Präsident wurde und seine Partei in die politische Mitte führen wollte, passte der geradezu zwanghaft oppositionelle McCarthy nicht mehr ins System. Nik Afanasjew

Hackesche Höfe, Zukunft; OmU: Eiszeit

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