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Kultur: Der Scherz des Lebens

Rocker gegen Spießer: Lars Jessens deutsch-polnische Komödie „Hochzeitspolka“

Der Anfang ist gut. Ein Bandmitglied schaut kurz hinter die Bühne, wo Frontmann Frieder (Christian Ulmen) sich für seinen Auftritt aufpumpt. Der Gitarrist in gespieltem Ernst zu Frieder: Sein Vater wolle ihn zum Geschäftsführer machen, und er nehme an! Unvermitteltes Erfrieren der Frontmannmiene. Darauf der Gitarrist: „Ach was, einmal Rock’n’Roll, immer Rock’n’Roll!“ Doch statt Erleichterung bleibt eine tiefe Nachdenklichkeit in Christian Ulmens Gesicht stehen.

So jäh kommt manchmal die Einsicht, dass der Ernst des Lebens jeden erwischen kann. Sogar die Cover-Band Heide Hurricane aus Itzehoe, die nicht zufällig wie die Toten Hosen klingt. Oder sollte man diesem fatalen Ernst zuvorkommen? Das Intro dauert gefühlte zwei Minuten, und alles ist klar. Die nächste Szene spielt schon in Polen.

Und da begegnen wir tatsächlich dem Geschäftsführer der polnischen Filiale einer Itzehoer Firma. Nur ist es nicht der Gitarrist, sondern der Frontmann selber, Frieder alias Christian Ulmen. Und der kann alle Nuancen von Scheu, Überforderung und Verlegenheit spielen, die das Leben so bereithält. Und das plötzlich Entschlossene, das Unbeugsame dazu. Ulmen hat sich seit „Herr Lehmann“ ein wenig verändert, doch mit etwas Doppelkinn und Bauch passt er umso besser zur Rolle. Auch spricht Ulmen, der noch nie zuvor in Polen war, ein durchaus hörenswertes Polnisch.

Doch es wird nichts. Der Ernst des Lebens muss ein großer Intrigant sein. Er greift nicht nur nach unser aller Dasein, sondern hartherzig auch nach dieser Komödie von Lars Jessen („Dorfpunks“). Da steht die Restband an Frieders Polterabend plötzlich vor der ostpolnischen Tür seines Eigenheims. Das wird ein doppelter Clash of Civilisations. Heide Hurricane trifft Spießer. Und: Deutsche Rocker fallen in Polen ein. Sollte das nicht irgendwie lustig sein?

Stattdessen: Ratlosigkeit. Und ein gewisses Fremdschämen. Die beste Erklärung für die irrititierende Abwesenheit von Komik in „Hochzeitspolka“ wäre, dass wir über derlei rocker-spießer- und deutsch-polnische Gegensätze längst hinaus sind. Zumal der Film die interessantesten Differenzen ohnehin nicht aussprechen kann: So hat – wie der polnische Co-Autor und Co-Regisseur Przemyslaw Nowakowski weiß – das Polnische kein Wort für Spießer. Also gibt es den ganzen Konflikt nicht, nicht diese Selbstgefälligkeit im Wohlsein. Nowakowski fasst dies in die schöne Wendung, die Polen hätten eher einen „Nachholbedarf an überschaubarem Wohlstand“. Jessen wiederum war durch die viel kosmopolitischere Daseinsweise der Polen sehr beeindruckt.

Nicht leicht zu benennen, woran diese Nicht-Komödie scheitert. Denn grob, deftig, auch klischeehaft dürfen Komödien durchaus sein, man muss all das Verquere nur wieder auffangen. Am besten mit Aberwitz. Und den hat Jessen nicht. Auch hat er es sich zur schweren Aufgabe gemacht, keine Geschichte zu erzählen, sondern nur einen Abend und den darauf folgenden Tag, den Hochzeitstag Frieders und der Polin Gosia (jeder Rocker würde sie heiraten: Katarzyna Maciag). Daran darf man scheitern.

Vielleicht sollte man Filme nicht nur in gute und die anderen einteilen, sondern auch in solche mit schönen Anfängen und schönen Schlüssen. „Hochzeitspolka“ hat einen schönen Anfang und einen schön leisen Schluss, so leise, wie manchmal ein ganzes Leben zusammenstürzt. Frieder sitzt mit seiner soeben geheirateten und schon wieder fast verlorenen Frau auf dem Sofa, und beide singen leise die Hymne seiner Jugend: „Eisgekühlter Bommerlunder/Bommerlunder eisgekühlt …“ Die Toten Hosen können das auch auf Polnisch vortragen.

Cinemaxx, Filmkunst 66, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Kurbel, Passage

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