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Kultur: Der Schnitter

Die Galleria Nove zeigt Werke des Avantgarde-Künstlers Lucio Fontana

Mit seinen Löchern und Schnitten in die Leinwand gelang Lucio Fontana auch ein Einschnitt in der Kunstgeschichte. Wie „Alice hinter den Spiegeln“ eroberte der Spross einer italienischen Künstlerfamilie mit den „Concetti spaziale“ Ende der vierziger Jahre den Raum hinter der Leinwand. Anstelle von Tiefenwirkung durch Illusionismus setzte Fontana auf die konkrete Erfahrung und vollzog so – mehr als drei Jahrzehnte, bevor der Kunsthistoriker Laszlo Glozer den Begriff prägte – den „Ausstieg aus dem Bild“.

Was seinerzeit als Sakrileg provozierte, wollte der 1899 in Argentinien geborene Bildhauer allerdings nie als aggressiven Akt verstanden wissen: „Ich durchlöchere, das Unendliche kommt da durch, das Licht kommt durch. Alle haben geglaubt, ich wolle zerstören: aber das stimmt nicht, ich habe aufgebaut.“

Ein Phänomen bleibt Lucio Fontana nicht nur ob der Missverständnisse um seine bahnbrechenden Neuerungen. Als ihm mit den Buchi (Löchern) und Tagli (Schnitten) der Durchbruch gelingt, ist Fontana bereits 50 Jahre alt. Die Bildhauerei hatte er zunächst im Atelier seines Vaters erlernt. 1918 schloss er in Mailand ein Ingenieurstudium ab, 1928 machte er das Bildhauer-Diplom an der Mailänder Kunstakademie. Doch das Œuvre der folgenden zwei Dekaden nimmt sich wie das eines anderen aus: Eklektische Moderne zwischen Figuration und Abstraktion reiht sich neben kunsthandwerkliche Keramiken, von denen manche wie verunglücktes Meißner Porzellan anmuten.

Eine Ahnung dieser Widersprüche bekommt man in der im vergangenen Herbst eröffneten Galleria Nove. An Fontanas zwiespältiges Frühwerk erinnern drei Keramikteller. Einen ziert eine Frauenfigur mit goldenem Stier. Würde die Preisliste nicht stolze 110 000 Euro verzeichnen – man könnte glatt den Kalenderspruch zum Küchendekor vermissen.

Erfreulicherweise konzentriert sich die kleine, feine Ausstellung ansonsten auf die fünfziger und sechziger Jahre, in denen Fontana zum Vorreiter für eine europäische Generation, allen voran für die Zero-Künstler wurde. Während ein 1953 entstandenes „Raumkonzept“ mit kräftigen Rottönen den Weg vom Tafelbild zur Raumdurchdringung noch ganz im informellen Gestus auslotet, besticht ein „Concetto spaziale“ von 1956 durch kühnen Minimalismus und eigenwillige Materialität: Auf schwarzem Samt umkreist eine Ellipse aus weißem Ölpastell die linear angeordneten Löcher. Das Vordringen hinter die Bildoberfläche wird zudem durch Glassteinchen betont, die den Raum vor der Leinwand einbeziehen.

Mit klassischen Bildformen experimentieren zwei im selben Jahr entstandene „Raumkonzepte“. Ein Pastell in erdig matten Farben erinnert an eine Stele, deren Risse wie locker mit dem Pinsel getupft erscheinen. Daneben konturiert eine Mischtechnik aus Ölfarben und Glitzerteilchen perforierte Formen, die an abstrahierte, tanzende Figuren denken lassen.

In der typischen Reduziertheit des Spätwerks fokussiert ein „Concetto spaziale“ von 1962 die Leere als positiv räumliches Element: mit frischem rosa Kolorit, zwei pointierten Rissen und feinen Einritzungen. Ein wahres Glanzstück aus der letzten Schaffensphase des 1968 verstorbenen Künstlers stammt aus der Serie „Attese“ (Erwartung). Die Schnitte in die monochrom grüne Leinwand sind von klassischer Eleganz und zeigen Fontanas Idee der Unendlichkeit ebenso wie sein Credo, mit der Kunst „das Gefühl für das Menschsein lebendig zu erhalten“.

Die Preise für die „Concetti spaziale“ liegen mit 900 000 bis 1,75 Millionen Euro im Rahmen momentaner Markterwartungen. Im Februar erzielten drei Fontanas aus der Sammlung von Anna und Gerhard Lenz umgerechnet zwischen 2,3 und 3,5 Millionen Euro bei Sotheby’s in London, wo 2008 für ein goldenes Oval der Serie „La Fine di Dio“ der bisherige Fontana-Rekord von über 11,3 Millionen Euro aufgestellt wurde.

Wie sich die Galleria Nove mit solchen Margen positionieren wird, bleibt abzuwarten. Neben Fontana als Zugpferd bleibt das Programm noch recht vage. Hervorgegangen ist die Galerie aus der Stiftung des 1925 geborenen Malers Sergio Vacchi, dessen Frau Marilena Graniti der nahe Siena residierenden Stiftung vorsteht und zugleich die Berliner Galerie leitet. Zum Künstlerstamm gehört selbstredend Sergio Vacchi und der 1931 geborene Bildhauer Giuliano Vangi, mit dem die Galleria Nove gemeinsam mit der Galerie Poll ihre Pforten im Pfarrhaus der ehemaligen Garnisonskirche eröffnete.

Für die Fontana-Ausstellung ebenso wie für die kommende Schau mit Skulpturen von Mario Ceroli kooperiert Marilena Graniti mit Tornabuoni Arte. Das italienische Kunstimperium – mit Stammsitz in Florenz, fünf Dependancen in Italien und Frankreich sowie einem Handel mit Antiquitäten und Alten Meistern – eröffnete unlängst seine Pariser Filiale mit über 60 Werken Fontanas. Die Auswahl in der Galleria Nove beschränkt sich auf 13 Arbeiten, ist aber dennoch sehr empfehlenswert, nicht zuletzt weil sie dem Erfinder und Protagonisten des „Spazialismo“ zum ersten Mal seit 1988 wieder eine Einzelausstellung in Berlin widmet.

Galleria Nove, Anna-Louisa-Karsch- Str. 9; bis 24. 4., Di–Sa 11–18 Uhr.

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