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Kultur: "Der schönste Feinsinn, um die Seele zu verzücken"

Der Pianist Rubén González, Veteran der kubanischen Musik und von Ry Cooder für den "Buena Vista Social Club" wiederentdeckt, geht mit 78 Jahren noch einmal auf TourneeVON ROMAN RHODEDas eigene Klavier von Holzwürmern zerfressen, in den Händen Arthritis, und dann plötzlich gelingt noch einmal der Durchbruch: Rubén González, Altstar der kubanischen Pianisten, hat mit 78 Jahren sein erstes Solo-Album herausgebracht, begibt sich erneut auf Auslandstourneen und erntet dort stürmischen Beifall.Auch der 71jährige Sänger Ibrahim Ferrer erlebt ein spätes Comeback - seit er, wie González, von dem amerikanischen Gitarristen Ry Cooder aus der Versenkung geholt wurde, um für dessen Projekt eine alte Garde aus Troubadouren und Soneros zu begleiten.

Der Pianist Rubén González, Veteran der kubanischen Musik und von Ry Cooder für den "Buena Vista Social Club" wiederentdeckt, geht mit 78 Jahren noch einmal auf TourneeVON ROMAN RHODEDas eigene Klavier von Holzwürmern zerfressen, in den Händen Arthritis, und dann plötzlich gelingt noch einmal der Durchbruch: Rubén González, Altstar der kubanischen Pianisten, hat mit 78 Jahren sein erstes Solo-Album herausgebracht, begibt sich erneut auf Auslandstourneen und erntet dort stürmischen Beifall.Auch der 71jährige Sänger Ibrahim Ferrer erlebt ein spätes Comeback - seit er, wie González, von dem amerikanischen Gitarristen Ry Cooder aus der Versenkung geholt wurde, um für dessen Projekt eine alte Garde aus Troubadouren und Soneros zu begleiten. Diese Sessions, 1996 in Havanna entstanden, sind unter dem Titel "Buena Vista Social Club" mittlerweile zu einem Schlager der Weltmusik avanciert: allein in Europa wurden 350 000 Exemplare der CD verkauft.Kubanische Musik wird in unseren Breiten, wieder einmal neu entdeckt.Im Mittelpunkt der kubanischen Tradition steht der Son, der urwüchsige "Klang", Matrix weltbekannter Stile wie Mambo oder Cha-Cha-Cha, das nationale Tanzlied Kubas schlechthin.Mitte der 20er Jahre hatte der Son eine Revolution der Hörgewohnheiten ausgelöst.Dem gemessenen Danzón, einem bürgerlichen Salontanz mit Holzbläsern und Violinen, setzte er das volkstümliche afro-spanische Erbe entgegen, und verbreitete in Havanna seinen kräftigen Hauch von Tabak, Melasse und ländlichem Laisser-faire.Der Son war "schwarz": ungestümer und billiger als der Danzón, er konnte überall gespielt werden, spontan, ohne Bühne, ohne Stühle, Piano oder Gelehrsamkeit.All seine Instrumente kosteten weniger als eine einzige Violine, und so begnügten sich die frühen Sextette mit Open Air, Inspiration und Improvisation, mit Gitarre, Tres, Rasseln, Klanghölzern, Bongos und hausgemachtem Daumenklavier.Dazu kam der Gesang, die Stimme des Sonero und des einfallenden Chors.Sie verdrängte schließlich Caruso aus dem Teatro Nacional und den Walzer aus den Musikautomaten. Für die kubanische Presse war der Triumph des Son damals ein Skandal - vergleichbar mit der Uraufführung von Stravinskys Bauernhochzeit 1923 in Paris.Denn auch Stravinsky legte in seinem Opus die Melodie allein in den Gesang, und ließ Chor- und Solostimmen durchgehend von einem reich bestückten Schlagzeuginstrumentarium begleiten.Ebenso hatte der Son, in seiner ursprünglichen Klangstruktur eine Phantasie aus Perkussion geschaffen. Später jedoch fügte man ihm eine Trompete und ausgefeiltere Melodien hinzu, von denen sich George Gershwin in seiner Kubanischen Ouvertüre anregen ließ.Der Son, so lautete eine Verszeile aus den Dreißigern, "ist der schönste Feinsinn, um die Seele zu verzücken".Und die Musiker, die großen Soneros jener Zeit, kultivierten ihren Stil bis zur höchsten Blüte.Arsenio Rodr¿¤guez, ein innovativer Bandleader, erweiterte in den 40er Jahren die bis dahin typische Septett-Formation des Son um zwei Trompeten, Congas und Klavier.Der erste Pianist seines Ensembles: Rubén González.González, damals schon ein Virtuose, spielte nicht nur perkussiv, sondern improvisierte auch die launige Gesangsstimme auf den Tasten; zugleich führte er Jazz-Harmonien aus dem Norden ein.Etwas später eroberte Beny Moré, ein weiterer legendärer Sonero, die Tanzpaläste von Havanna mit einer Big-Band nach nordamerikanischem Vorbild; den traditionellen Tres, eine kleine Gitarre mit drei Doppelsaiten, hatte er längst durch das Saxophon ersetzt.Auch Ibrahim Ferrer gehörte als Sänger zu Morés "Banda Gigante", bis er nach dem Tod des Meisters zu Pacho Alonso wechselte.Da gab es neue Rezepte: Pilón, Simalé und Upa-Upa hießen die würzigen Experimente des musikalischen Chefkochs; Alonso selbst bezeichnete sie auch als den "letzten Tropfen des Son". Zum Überkochen brachte Alonso den Rhythmuskessel ausgerechnet im Moskauer Tschaikovsky-Theater, wo er 1962 mit seiner Band erstmals Populärmusik aufführen durfte.Der Siegeszug des Son hielt an - bis nach Japan reichte er.Und in New York verrührte man ihn Anfang der 70er Jahre zu jener pikanten Soße, die sich seither "Salsa" nennt. Salsa aber ist für die Veteranen des Son nur eine Abwandlung des echten kubanischen Stils: angereichert mit verschiedenen karibischen Rhythmen, durch Spanish Harlem und den Boogaloo passiert, und von Jerry Masucci, dem Produzenten der Plattenfirma "Fania", einfallsreich vermarktet.Inzwischen wird auch in Kuba Salsa produziert.Doch die scharfe Sauce von einst schmeckt heute überall nach fadem Pop-Ketchup.Kein Wunder, denn Son und Salsa stehen sich gegenüber wie die noble Zigarre der eiligen Zigarrette, der schwere Rum dem Coca-Cola-Mix und der wehmütige Macho seinem affektierten Abziehbild. Als Ry Cooder nun mit der altgedienten, halbvergessenen Musikergarde in Havanna zusammentraf, empfand er die gemeinsamen Sessions als sein bisher schönstes Erlebnis.Denn das raffinierte Klavierspiel von Rubén González, die großartig nasale Stimme Ibrahim Ferrers zeigten ihm, daß die Soneros noch immer lebendig sind.Der Son, so heißt es in einem Lied, wird niemals sterben.Er bietet nämlich vor allem eines: die Lyrik der Leidenschaft. Rubén González & Ibrahim Ferrer Group, morgen 20.30 Uhr, Haus der Kulturen der Welt.

ROMAN RHODE

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