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Kultur: Der schönste Gottesbeweis

Der neue Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs: Luca Giuliani über Geistesritter und Terrorrätsel

Herr Giuliani, Sie sind gebürtiger Italiener und waren bisher Archäologie-Professor in München. Zuletzt sind Sie mit einer großen Studie über „Bild und Mythos“ in der griechischen Antike hervorgetreten – aber als Person kaum im öffentlichen Rampenlicht gestanden. Hat Sie die Wahl zum Rektor des Wissenschaftskollegs überrascht?

Sie hat mich schon überrascht, denn nachdem Dieter Grimm seine Amtszeit nicht mehr verlängern wollte, hatte ich durchaus andere Kandidaten auf der Rechnung. Aber jetzt freue ich mich auf die Rückkehr nach Berlin. Ich hatte hier schon bis 1992 im Antikenmuseum für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gearbeitet. Und ich habe 1999/2000 als Fellow im Wissenschaftskolleg an meinem Buch „Bild und Mythos“ geschrieben.

Peter Handke nannte den Archäologen einmal den typischen „Schwellensucher“.

Ein hübsches Wort. Nur, was ist damit gemeint?

Bei Grabungen erforscht der Archäologe auch den Grundriss von versunkenen Städten und Häusern und sucht deren Eingang: Jetzt treten Sie über eine neue Schwelle.

Vorweg gesagt, ich bin kein ausgesprochener Grabungsarchäologe. Ich beschäftige mich mehr mit den sichtbaren oberirdischen Phänomenen und versuche als Archäologe aus Bruchstücken des Vergangenen eine Rekonstruktion. Das hat auch den Reiz einer detektivischen Arbeit.

Was hat nun der Detektiv des Vergangenen mit dem Wissenschaftskolleg künftig vor? Wie wollen Sie Ihr Rektorat von denen Ihrer drei illustren Vorgänger unterscheiden?

Zunächst haben die sich schon selber stark unterschieden. Wobei ich die Anfänge unter Peter Wapnewski nur vom Hörensagen kenne. Das war demnach eine Art Artus-Runde: An der Tafel saßen die Ritter, vornehmlich der Geisteswissenschaften, und es gab den König in Gestalt des Rektors, es war eine aufgeklärte Monarchie.

Allerdings auch mit der Anknüpfung an das von den Nazis vertriebene Geistesleben der Weimarer Republik. Wapnewski holte gleich im ersten Jahrgang 1981/82 Gershom Scholem aus Jerusalem als Fellow nach Berlin.

Gewiss. Und Wolf Lepenies, eher schon der Präsident einer Geistesrepublik, hat das Kolleg dann weiter geöffnet, auch hin zur außereuropäischen Welt, etwa mit dem Projekt „Moderne und Islam“. Dieter Grimm hat die Brücke zu den Biowissenschaften weiter ausgebaut und als Jurist einen Akzent auf die Zusammenhänge von Recht und Politik gelegt. Aber von Grimm habe ich auch die Skepsis gegenüber großen Plänen gelernt. Von mir wird es jetzt keinen Fünfjahresplan geben.

Aber ein paar eigene Akzente wollen Sie doch setzen?

Meine Idee ist nicht, lauter Fragestellungen vorzugeben und dann Lösungen zu erwarten. Ich vertraue darauf, dass sich aus dem freien Zusammenspiel unterschiedlicher, in jedem Fall höchstqualifizierter Wissenschaftler Fragen und dann gelegentlich auch Antworten ergeben. Dieser Verzicht auf Dirigismus ist, zugegeben, erst mal kein starkes Programm. Doch möchte ich, dass sich das Wissenschaftskolleg bewusst von den im deutschen Universitätsbetrieb jetzt überall grassierenden Exzellenzinitiativen unterscheidet.

Inwiefern?

Es wird in den nächsten Jahren an vielen Universitäten in Deutschland die Gründung von Institutes for Advanced Study nach dem Vorbild von Princeton und anderen geben.

Also Institute, die Spitzenwissenschaftler ohne Lehrverpflichtungen forschen lassen.

Ja, und das zeigt auch, dass das Wissenschaftskolleg als erste deutsche Adaption eines Institute for Advanced Study ein Beispiel gegeben hat. Aber soweit ich sehe, werden sich alle diese neuen Institute von uns in einem zentralen Punkt unterscheiden: Keines wird so frei eine solche Breite von Fächern mit der Möglichkeit des interdisziplinären Dialogs abdecken können. Man wird sich mehr spezialisieren, auf Teilfächer oder auch nur Projekte, denen sich die Wissenschaftler nach einem vorgegebenen Fahrplan zuordnen. Der Raum für überraschende Erkenntnisse wird durch einen immer stärkeren Effizienzdruck eingeengt. Bei uns besteht dagegen die Möglichkeit, dass die Fellows auch mal Antworten auf Fragen finden, von deren Existenz sie vorher gar nichts wussten.

Indem Sie die Fellow-Bewerber aufgrund ihrer angegebenen Forschungsvorhaben auswählen, installieren Sie doch auch schon bevorzugte Fragestellungen.

Sie haben nur teilweise recht. Auch ich bin mit einem festen Buchvorhaben hierhergekommen. Und nicht das Buch, wohl aber meine generelle Haltung als Wissenschaftler hat sich dadurch verändert, dass ich zehn Monate lang im täglichen Gespräch mit den Fellows angehalten war, für meine Interessen Menschen aus ganz anderen Sparten und Kulturen zu interessieren. Umgekehrt habe ich 1999 von einem Islamwissenschaftler, der über den Sudan forschte, Einblicke in den Krieg im Südsudan erhalten, der damals, obwohl er grausamstes Leid und die ständige Verletzung von Menschenrechten bedeutete, völlig unterhalb der medialen Wahrnehmungsschwelle blieb. Ich habe mich 1999 auch gefragt, was die Kollegen genau zehn Jahre früher, im Jahrgang 1989/90, gemacht haben, als sie hier in die Wende hineingerieten. Da hat sich bei einem amerikanischen Historiker sein Buch über die Französische Revolution in ein Buch über eine gegenwärtige Revolution verwandelt. Und andere Wissenschaftler blieben von den Ereignissen völlig unberührt. Dieses Nebeneinander fasziniert mich.

Solch ein Austausch oder Nebeneinander ergibt sich im Kolleg aber von alleine. Dazu braucht es gar keinen Rektor!

(Lacht) Stimmt! Ich fände es auch am besten, wenn sich ein Rektor erfolgreich überflüssig machen würde. Das gilt für viele Berufe, sogar für Gott. Würde die Welt auch von alleine funktionieren, wäre das der schönste Gottesbeweis!

Aber ein Neuanfang am Wissenschaftskolleg ganz ohne Programm wirkt wie das Vertrauen auf eine unbefleckte Empfängnis.

Also gut: Es geht mir zunächst darum, die besten Leute zu bekommen. Aus bestimmten Wissenschaftsbereichen und Weltregionen haben wir da ein traditionell erstklassiges Angebot, in anderen Sparten und Gegenden möchte ich stärker suchen. Noch dominiert bei den ausländischen Fellows der angelsächsische Raum, dazu seit der Wende Osteuropa, unterrepräsentiert sind dagegen die spanischsprechenden Länder, auch Portugal und Brasilien. Oder China, Japan, Südostasien. Die Chinesen wissen viel mehr über uns als wir von ihnen. Aber der Drang zu uns ins Kolleg ist bisher noch verhalten, obwohl Wolf Lepenies seit Jahren um chinesische Wissenschaftler wirbt und uns nach seinen Reisen erzählt, wie leidenschaftlich chinesische Germanisten Schiller lesen.

Wie steht es mit einer stärkeren Verbindung zwischen der Geisteswissenschaft und den neuen Naturwissenschaften?

Diese ist mir in der Tat besonders wichtig. Ein Problem ist, dass Naturwissenschaftler ihre Labore nicht mit ans Kolleg nehmen können. Auch gibt es Bereiche etwa der Physik, die sich dem sprachlichen interdisziplinären Diskurs nicht so leicht öffnen. Aber die Lebenswissenschaften, also Biologie, Biochemie, Evolutionsbiologie, sind den Geisteswissenschaftlern in vielem nahe. Dazu kommen anthropologische, ethische und rechtliche Fragen. Hier sehe ich starke Interaktionschancen.

Also haben Sie doch konkretere Pläne.

Natürlich. Aber selbst wenn Sie Projekte formulieren, hängt es davon ab, ob Sie dafür auch die Leute finden. Nur ein Beispiel: Herr Grimm hatte mich 2001 gebeten, an einem Schwerpunktthema zur Deutung von Medienbildern mitzuwirken. Nach dem 11. September hat mich umgetrieben, wie atemberaubend artifiziell die Bilder des New Yorker Anschlags waren. Auffällig war das fast völlige Fehlen von Lauten. Oder der konsequente Verzicht auf Nahaufnahmen. Kurz nachdem das erste Flugzeug in den einen Turm eingeschlagen war, hatten sich unzählige Kameras postiert und zum Teil Teleobjektive installiert, mit denen Sie eine Maus auf dem Mond hätten filmen können. Trotzdem gab es keine Nahaufnahmen. Man sah winzige Menschen undeutlich an den Fenstern oder aus dem 110. Stockwerk springen, nicht den Aufprall, kein Blut – es war eine völlig ästhetisierte, stilisierte Wiedergabe eines Weltgeschehens. Als wären alle Kameras von einem einzigen Regisseur gelenkt worden.

Darauf geben bisher nicht einmal Verschwörungstheoretiker eine Antwort.

Ich glaube natürlich nicht an Verschwörungstheorien, wohl aber an ästhetische Normen und an die verblüffende Wirkung von Selbstzensur. Eben das fand ich interessant und habe mir vorgestellt, zusammen mit dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp im Kolleg eine Art Arbeitsgruppe zu bilden, die das untersucht. Trotz Lawinen von Aufsätzen über die Bilder des 11. September sind diese Fragen nie gestellt oder ikonografisch genau untersucht worden. Aber zu unserer Verblüffung haben wir keine Profis gefunden, die daran forschend und analysierend mitgewirkt hätten. Dabei halte ich das bis heute für eine brisante Frage.

Das Gespräch führte Peter von Becker.

Luca Giuliani , 1950 in Florenz als Sohn eines Italieners und einer aus Berlin stammenden Mutter geboren, lehrte bis jetzt Klassische Archäologie an der Universität München. Neben dem Rektorat des Wissenschaftskollegs übernimmt er nun auch einen Lehrstuhl an der Berliner Humboldt Universität . Nach dem Studium in Basel und Heidelberg war er bis 1992 stellvertretender Direktor des Berliner Antikenmuseums, danach erhielt er einen ersten Ruf an die Universität Freiburg. 2003 erschien sein Hauptwerk über „Bild und Mythos“.

Als Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs ist er Nachfolger des Literaturwissenschaftlers Peter Wapnewski , des Soziologen Wolf Lepenies und des früheren Bundesverfassungsrichters Dieter Grimm .

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