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Kultur: Der Schrägstrich

Erfolgreich, umstritten und immer noch in der Entwicklung: Das Jüdische Museum Berlin wird fünf Jahre alt

Erfolg? Maßstäbe, an denen die Effizienz eines Jüdischen Museums in Deutschland zu messen wäre, wandeln sich. Als 1988 bei einer Berliner Tagung die Gründung der Schrägstrich-Institution „Berlin Museum/Jüdisches Museum“ projektiert wurde, erschien nur der Gedanke an eine mögliche Realisierung des Plans in der Ex-Hauptstadt des Völkermords bereits wie eine Erfolgsvision. Nachdem 1989 Daniel Libeskinds sensationeller Zickzackentwurf „Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum“ favorisiert worden war, machten sich Erfolgswünsche an der Frage fest, wie autonom das künftige Gebilde sein müsse oder dürfe.

Im September 2001 schließlich, bei der Eröffnung des Jüdischen Museums Berlin (JMB), war – bye, bye Schrägstrich – der Nachbar-Altbau des Berlin Museums bereits von der designierten Bundesinstitution geschluckt worden und die Absicht der rot-grünen Regierung nicht zu übersehen, ihrer Berliner Republik mit diesem auffälligen Haus ein programmatisch korrektes Gesinnungsmonument zu schenken. Anno 2006 gibt es neue Befindlichkeiten.

Von einem Museum, das als hoffnungsvoller Kontrapunkt zum Desaster der deutsch-jüdischen Geschichte zwischen 1933 und 1945 verstanden wird, erhofft man viel mehr als stolze Besucherstatistiken, auf die das JMB seit seiner Eröffnung verweisen kann. Alle hoch gesteckten Erwartungen der Philosemiten und Politiker, der Funktionäre und Schulklassen, der Versöhner und der Problematisierer sind kaum zu bedienen. Deshalb wehrte sich das JMB kürzlich gegen Kritik aus dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Dessen Generalsekretär Stephan Kramer hatte den Ausstellungen des Hauses, zu Unrecht, elitäre Intellektualität vorgeworden, aber auch moniert, das JMB ignoriere die Realität des Lebens der Juden in Deutschland, zu denen die kulturelle Zerreißprobe zwischen deutschen und zugewanderten Gemeindemitgliedern gehört. Tatsächlich ist die Verankerung des Touristen-Leuchtturms in der Berliner Jüdischen Gemeinde nicht besser als seine Vernetzung mit der Berliner Museumslandschaft; das hat Vorteile, verweist aber auch auf die empfindliche Genesis und den Raumschiff-Status der durch einen Amerikaner – W. Michael Blumenthal – geleiteten Bundesinstitution.

Unterscheiden muss sich das JMB von anderen Jüdischen Museen in Deutschland, die vor und nach seiner Eröffnung ihre regional fokussierte Arbeit aufgenommen haben: Für diese Erkenntnis hatten Berlins Kulturpolitiker seinerzeit zehn Jahre gebraucht. In der einstigen Kapitale des NS-Regimes, am Ort der Vernichtungslogistik soll nicht nur – mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas – an Tote, soll nicht nur – mit der Topographie des Terrors – an Verbrecher und Verbrechen erinnert werden. Das JMB funktioniert in Korrespondenz mit beiden Gedenkstätten und weist weit über deren Thema hinaus: auf den Erdball der Deportierten und Geflüchteten, in die Vergangenheit vor Auschwitz und ins Heute. Auch an dem bombastisch-verunglückten Untertitel des Museums „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte“ ist der schwierige Versuch der Museumsmacher zu erkennen, die narrative Holocaust-Proportion in historische Dimensionen, ohne Relativierung, einzuordnen.

2006 ist die Berliner Republik im Historisierungs-Alltag angekommen. Die Schere der Debatten geht derzeit zwischen offiziöser „Holocaust-Rhetorik“ (FAZ) und antiisraelischem Affekt, zwischen der Grass-Hysterie nichtjüdischer Moralisten, Vertriebenen-Bashing einerseits und Schlussstrich-Demagogie zum Thema Restitution andererseits auffällig auseinander. Zugleich verliert das Mahnmal-Design eines Libeskind, mit dem der Architekt sich weltweit selbst zitiert, an Erregungswert.

Jetzt werden, statt der bunten Schulbuchgeste, mit der die JMB-Dauerausstellung „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte“ inszeniert und teilweise überfliegt, genauere große und kleine Erzählungen gebraucht. Der Mut zur Konfrontation mit Gegenwart könnte dabei – über witzig-schöne Wechselausstellungen wie „Weihnukka“ und „Freud“ hinaus – noch gesteigert werden.

Wo, wenn nicht hier, sollten deutsche/jüdische/israelische und arabische Künstler ihre Werke zum Thema „Frieden“ gegeneinanderstellen? Wo sonst sollte die deutsch-jüdische Kollektivneurose dargestellt werden, unsere Skrupel: ob man „Deutsche“ und „Juden“ sagen darf oder sich lieber Zeit nimmt für „nichtjüdische“ und „jüdische Deutsche“; ob Schrägstrich oder Bindestrich, alles oder nichts diese Spezies trennt; ob auseinanderdrängt, was einmal zusammengehörte? Erfolg ist, wenn man’ s trotzdem macht.

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