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Kultur: Der Seele Rest

Münchens Musikbiennale feiert Labyrinthisches

Mit Festivalmotti ist das so eine Sache. Meist sind sie eher wolkig, mitunter aber fahren auch echte Blitze vom Bühnenhimmel nieder: Man sieht dann klarer, was gerade geschieht. So begibt sich die Münchner Musiktheaterbiennale in diesem Jahr ins „Labyrinth“. Zumindest legt das der künstlerische Leiter, Peter Ruzicka, nahe, wenn er mit dem französischen Wirtschaftswissenschaftler (!) Jaques Attali sinniert, eben dort, im Labyrinth, sei der wahre Aufenthaltsort der medial geprägten Kunst unserer Zeit.

Gänzlich unbequem ist diese Position nicht. Aureliano Cattaneo beispielsweise will sie in der nächsten Woche nutzen, um in der Oper „Die Philosophie im Labyrinth“ die Sage von Minotaurus in die Gegenwart zu retten, während ein anderes neues Werk, „Gramma“ von José M. Sánchez-Verdús, sich seinerseits auf die ersten Zeichen bezieht, ohne die unsere heutige Welt nicht zu lesen wäre. Vorläufig ist das noch Papier, und man wird aufmerksam verfolgen, ob es auch raschelt.

Wie trocken ein veropertes Buch klingen kann, merkt man an der eher untypischen Ernüchterung des Publikums anlässlich von Wolfgang Staudes Oper „Wir“, mit der die Biennale in der Münchner Muffathalle eröffnet wurde. Staude hat sich an einem Roman von Jewgenij Samjatin orientiert, der vorwegnimmt, was später Aldous Huxley und George Orwell systematisch ausspinnen. Samjatins düsterer Blick kritisiert allerdings weniger stalinistische oder kapitalistische Abläufe, sondern gewissermaßen das Totalitäre an sich. Seine Individuen haben nur noch Nummern, und wenn 1330 doch einmal D 503 anspricht, den sie später verführen wird, obwohl gar kein von oben geregelter „Geschlechtstag“ vorgesehen ist, dann bedeutet das nichts als Unglück. Während der letzte Dichter öffentlich hingerichtet wird, weil er sich noch so etwas wie ein Gefühl gestattet hat, naht auch für D 503 die Hinrichtung, was 1330 wiederum ungerührt mit „die Vernunft muss siegen“ kommentiert.

Wolfgang Staude hat bis zuletzt an der Partitur gebastelt, die der Freiburger Dirigent Christian Hommel mit dem stark perkussionslastigen Münchner Rundfunkorchester energisch vorantreibt. Allerdings kann auch er nicht mehr tun als Staub aufwirbeln, der sich schnell wieder setzt und dann bleischwer auf der Szene liegt. Die Komposition ist ein Fliesenwerk. Chorszenen wechseln mit Zwischenspielen, die wiederum von arienhaften Momenten abgelöst werden: Speziell bei letzteren, hofft Staude, koche dann die Leidenschaft, mit der sich anwüten ließe gegen eine Welt, in der jede spontane Emotion unterdrückt wird. Leider aber simmert das Ariose auf einem erschreckend banal-tonalen Niveau, das bereits der junge Richard Strauss hinter sich gelassen hatte. So sehr sich gestandene Sänger wie Anette Elster und Robins Adams auch mühen: Das Ganze wirkt doch sehr verkrampft, gestrig in der Thematik. Eine Ansammlung von Kostproben, die sich nur einzeln danach anhören, als hätte aus ihnen mal etwas werden können.

Regisseurin Helen Malkowsky gibt der Produktion den Rest, indem sie den Chor zu einer Art „Hair“-Revivalgestik verführt und die Protagonisten stets dann an die Rampe schickt, wenn ihnen ihr Rest an Seele brennt. Das Publikum jedenfalls war sehr bestrebt, dieses musiktheatralische Labyrinth hinter sich zu lassen, und strebte rasch dem Ausgang zu, um andere Wege zu gehen.

Informationen unter www.muenchenerbiennale.de

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