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Kultur: Der singende Botaniker

Betritt man das Schloßtheater von Drottningholm, so fühlt man sich ins 18. Jahrhundert zurückversetzt.

Betritt man das Schloßtheater von Drottningholm, so fühlt man sich ins 18. Jahrhundert zurückversetzt. Livrierte Diener weisen die Plätze an, Damen in hoch taillierten Kleidern sorgen für die Garderobe. Der Theaterraum selbst ist in computersimuliertes Kerzenlicht getaucht. Sogar das Orchester trägt Perücken. Hebt sich der Vorhang, ist die Illusion komplett: Das kleine Theater verfügt nicht nur über barocke Kulissen, sondern auch über die älteste noch voll funktionsfähige Theatermaschinerie der Welt.Vor allem wegen dieses Theaters wurde die Schloßanlage von Drottningholm bei Stockholm 1991 von der Unesco zum Welt-Kulturerbe erklärt. Seit der Restaurierung des Theaters im Jahre 1922 finden hier jeden Sommer Opernaufführungen im historisch authentischen Rahmen statt. Doch keine Mozart-Oper gibt es diesen Monat zu besichtigen. Zum ersten Mal überhaupt seit 200 Jahren stand jetzt eine Uraufführung auf dem Programm: Jonas Forsell schrieb die Musik zu "Trädgarden" ("Der Garten"), einer Oper über das Leben Carl von Linnés. Der berühmte Botaniker ist in Schweden so etwas wie ein Nationalheld. Er entwickelte ein System zur wissenschaftlichen Klassifizierung aller Lebewesen, das in seinen Grundzügen noch heute in Gebrauch ist. Linné glaubte, mit seinem System dem göttlichen Schöpfungsplan auf der Spur zu sein. Doch seine eigenen Schüler stellten mit ihren wissenschaftlichen Entdeckungen sein Lebenswerk in Frage.Dem Librettisten Leif Janzon und der Regisseurin Asa Melldahl gelingt es, diesen vordergründig nicht sehr operntauglichen Stoff in Bilder von enigmatischer Dichte umzusetzen. Dabei wird von den speziellen szenischen Möglichkeiten der barocken Bühne ausgiebig Gebrauch gemacht: So schwebt im zweiten Akt der tote Jugendfreund Linnés, Peter Artedi, in Begleitung eines singenden Haifisches im Wolkenwagen von der Decke. Die Bühnenwelt ist bevölkert von Gestalten, die direkt aus "Alice im Wunderland" entsprungen zu sein scheinen: Ein geheimisvoller Uhrmacher und ein rätselhafter Gärtner wandeln durch die Handlung. Allerdings ist das Libretto derart verschlüsselt, daß sich der tiefere Sinn manchem Zuschauer gar nicht erschließt.Die Musik trägt der Vielschichtigkeit des Librettos in jedem Moment Rechnung. Trotz der Tatsache, daß ausschließlich historische Instrumente verwendet werden, ist sie weit davon entfernt, sich in gefälligen Historizismen zu ergehen. Unterschiedliche musikalische Stilebenen charakterisieren sinnfällig die verschiedenen Handlungsstränge. An den dramatischen Höhepunkten türmen sie sich zu mehrdimensionalen Klanggebäuden auf - eindrucksvoll ist der Botenbericht eines der Schüler Linnés, der aufzählt, auf welche Weise fast alle seiner Kommilitonen bei ihren Forschungsreisen ums Leben gekommen sind - während um ihn herum die vier Töchter des Forschers Fangen spielen und Linné selbst sich in wissenschaftliche Betrachtungen vertieft hat.Nicht nur für die Drottningholmer Bühne ist das Stück maßgeschneidert: Forsell komponierte auch speziell für die ihm zur Verfügung stehenden Sänger. Loa Falkman als Linné und Malena Erdman als abtrünniger Schüler Ziöberg erhielten Partien, die den außergewöhnlichen Umfang und Charakter ihrer Stimmen auszunutzen vermögen - genau wie auch Händel oder Mozart ihre Arien den Sängern "in die Kehle schrieben". Das Ensemble war bis in die Nebenrollen hinein hervorragend besetzt.Der Komponist Jonas Forsell hat im Komponieren von Opern bereist reiche Erfahrung. Doch die Herausforderung, eine moderne Opernpartitur für historische Instrumente zu schreiben, war auch für ihn neu. Der Komponist ging das Problem pragmatisch an: bereits lange im Voraus setzte er sich mit den einzelnen Spielern telefonisch in Verbindung, um die technischen und klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente zu diskutieren. Mißverständnisse blieben dabei zwar nicht aus; doch nach anfänglichen Widerständen im Orchester fand man in Abstimmung mit dem Komponisten Lösungen für die zum Teil enormen Schwierigkeiten der Partitur. Zu verdanken ist dies besonders dem Dirigenten Roy Goodman, der sich enthusiastisch für die Musik Forsells einsetzte, und dessen Begeisterung sich schließlich auf die Musiker übertrug. Die Idee, die alten Instrumente als moderne Klangquelle zu nutzen, fasziniert den Dirigenten. Für ihn ist "Trädgarden" der Anfang einer Entwicklung, die in neue und ungeahnte Richtungen führen kann - und die Drottningholmer Aufführung ist ein besonders fröhlicher, ein gelungener Anfang.

ASTRID NIELSEN

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