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Kultur: Der "Sklavenmarkt": In die Freiheit entlassen

Der vielbeschworene Mythos vom Prenzlauer Berg ist eine komische Sache: Je mehr man in den Medien über die mythische "Szene" wilder und unbeugsamer Untergrundliteraten liest, umso lauter bestreiten deren vermeintliche Akteure, dass es eine solche je gegeben hat. Nach nahezu einhelliger Meinung ehemaliger Ost-Dichter ist der Mythos einer verschworenen Gemeinschaft von Nischenexistenzen nichts als eine Erfindung westlicher Medien.

Der vielbeschworene Mythos vom Prenzlauer Berg ist eine komische Sache: Je mehr man in den Medien über die mythische "Szene" wilder und unbeugsamer Untergrundliteraten liest, umso lauter bestreiten deren vermeintliche Akteure, dass es eine solche je gegeben hat. Nach nahezu einhelliger Meinung ehemaliger Ost-Dichter ist der Mythos einer verschworenen Gemeinschaft von Nischenexistenzen nichts als eine Erfindung westlicher Medien. An den Stammtischen bestimmter Lokale wird diese Behauptung ebenso gerne und häufig vorgetragen wie die Feuilletons deren Gegenteil gebetsmühlenartig repetieren.

Unberührt von diesem eingespielten Ritual traf sich kürzlich eine Gruppe von Literaten überwiegend ostdeutscher Herkunft in einem Lokal in der Choriner Straße im Prenzlauer Berg. Zunächst war alles wie immer, wenn sich der "Sklavenmarkt" trifft: Man las sich lustige und ernste Texte vor, die weißen Strahlen der Diaprojektoren des Lichtbildkünstlers Jan Sputnik schnitten scharf durch die von Zigaretten- und Zigarrenrauch dicke Luft, und Wodka machte in Porzellantässchen die Runde. Und doch war diesmal alles anders, denn der "Sklavenmarkt" tagte zum letzten Mal. Die hier noch einmal öffentlich zusammenkamen, nahmen Abschied von einer mehrjährigen Tradition: Immerhin vier Jahre lang hatte die Lesereihe "aus dem Unterleib Berlins" gelebt und gewirkt.

Geboren wurde der Sklavenmarkt im Jahr 1996. Damals eröffneten die Dichter Bert Papenfuß und Frank "Willi" Willmann mit einigen Freunden eine Baracke, die symbolisch zwischen Staatskultur und Marktwirtschaft und sehr konkret zwischen Volksbühnen-Dependance und Prater-Gaststätte lag, wie sich Mitbegründer Guillaume Paoli erinnert. Hier konnte man nachmittags auf Klappbänken sitzen und Flaschenbier trinken, einmal wöchentlich gab es Veranstaltungen, etwa einen Diavortrag zum ästhetischen Phänomen "Frauen an der Brüstung". Fortan lasen hier bekannte Dichter wie Adolf Endler ebenso wie gänzlich unbekannte Autoren, die sich nicht selten aus dem Publikum rekrutierten. Immerhin knapp 150 Autoren umfasst die Liste der Markt-Autoren. Die Qualität der Veranstaltungen war meist nur schwer vorhersehbar, es gab brillante Vorträge und miserable Abende. Manchmal traf sogar beides zu, etwa wenn der Dichter Peter "Schappi" Wawerzinek furios in exzessiver Besoffenheit abstürzte.

Ein kalter Winter hatte die frierenden Literaten in das "Theater unterm Dach" in die Danziger Straße getrieben, spätere Quartiere waren eine weitere Baracke im Pratergarten und das "Siemeck" in der Rykestraße. Diese Zeit ist heute vielen in bester Erinnerung, was nicht unwesentlich an den halbierten Bierpreisen liegen mag, die ein stets durstiges Publikum wie magisch angelockt hatten. Nachdem man sich jedoch mit dem Prater-Management wegen angeblichem oder tatsächlichem "Bierschmuggel" überworfen hatte und das Siemeck pleite war, fand der Sklavenmarkt sein letztes Domizil in der Restaurant-Kneipe "Walden" in der Choriner Straße.

Hier war die Lesereihe während der vergangenen Jahre heimisch, nun soll Schluss sein. Die Gründe liegen wie so vieles im Halbdunklen: Manche sagen, eine zwischenzeitliche Haushaltssperre des Kulturamts Prenzlauer Berg, das zwischendurch den Förderhahn aufgedreht hatte, habe dazu beigetragen, andere munkeln von Streit mit der Sklavenabspaltung "Gegner", die inzwischen im "Kaffee Burger" in Mitte ihr Hauptquartier gefunden hat. Bert Papenfuß, immer noch auratisches Zentrum des "Gegner"-Kreises, hält die Zerwürfnisse jedoch für "unwesentlich". "Der Sklavenmarkt hatte seine Zeit, es muss auch mal Schluss sein", sagt er schlicht.

So sehen das seine ehemaligen Mitstreiter im Grunde auch. Schließlich sei das Scheitern schon im Namen angelegt gewesen, für den ein ironisch-antikapitalistischer Text "Zur Wiedereinführung der Sklaverei" (1932) des großen Verhinderten Franz Jung Pate stand. Nach der teils lyrischen und teils prosaischen letzten Lesung von Autoren wie Annett Gröschner, Bert Papenfuß und Helmut Höge tanzten die Literaten sehr ausgelassen und handelten so dem "Gelöbnis der Sklaven" zuwider, das einst besagte: "wir geloben (...) uns im großen kreis stets etwas bedeckt zu halten und einsicht vor ausgelassenheit ergehen zu lassen." Mit dem "Sklavenmarkt" geht zweifellos ein weiterer Teil des "Mythos vom Prenzlauer Berg" zuende. Doch auch dieses Ende, hört man hinter den Kulissen, dürfte zwangsläufig ein Neuanfang in anderer Gestalt werden - auch wenn jetzt noch keiner sagen möchte, wie der aussehen wird.

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