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Kultur: Der spanische Dichter und die Segel der Seele

Rafael Alberti, der 1902 in der andalusischen Hafenstadt Puerto de Santa Maria geboren wurde, bildet, zusammen mit Federico García Lorca und Jorge Guillén, das strahlende poetische Dreigestirn der berühmten "Generation von 1927", einer Dichter-Phalanx, deren Bezeichnung sich vom 300. Todestag des großen Barockdichters Luis de Góngora herleitet.

Rafael Alberti, der 1902 in der andalusischen Hafenstadt Puerto de Santa Maria geboren wurde, bildet, zusammen mit Federico García Lorca und Jorge Guillén, das strahlende poetische Dreigestirn der berühmten "Generation von 1927", einer Dichter-Phalanx, deren Bezeichnung sich vom 300. Todestag des großen Barockdichters Luis de Góngora herleitet.

Im Gegensatz zu Lorca, der nie mit einem Literaturpreis geehrt worden ist, erhielt Alberti schon 1925 den Premio Nacional de Literatura, eine Auszeichnung, die er sich zwar mit Gerardo Diego, einem anderen Poeten der 27er Generation, teilen musste, die ihm aber dennoch zu raschem Ansehen verhalf, wusste man doch in Insiderkreisen, dass sein Fürsprecher kein Geringerer war als Juan Ramón Jiménez, einer der markantesten Poeten der Vater-Generation.

Der junge Alberti war ein Nautiker der Fantasie, der in den Texten seines lyrischen Erstlings "Matrose an Land" eine Stimmung des Luziden und Luftigen zu zaubern verstand, die selbst da, wo sie melancholisch grundiert war, durch ihre liedhafte Schwerelosigkeit überzeugte. Der Dichter, der zunächst hatte Maler werden wollen, hat sein erstes Poem am Totenbett seines Vaters verfasst. Doch in seinen frühen drei Versbänden klammerte er das Empfinden existentieller Betroffenheit weitgehend aus, und er machte, ähnlich wie Lorca in seinem "Canciones", Schatten und Dunkelheit sichtbar durch die scharfkonturierten Ränder des Lichts:

Im Erlenschatten, Liebste

im Erlenschatten, nicht.

Unter der Pappel, ja

dem Weiß und Grün der Pappel.

Weißes Blatt, du

grünes Blatt, ich.

Die liedhafte Heiterkeit, die Trauer und Schmerz absorbierte, fand ein Ende, als der ehemalige Jesuitenschüler in der zweiten Hälfte der 20er Jahre eine Glaubenskrise durchmachte und dem nihilistischen Lebensgefühl in surrealen Metaphern Ausdruck verlieh: "Dieser Mann da ist tot,/ und er weiß es nicht,/ Er will die Bank überfallen,/Wolken rauben, Sterne, goldene Kometen,/ will das Unerschwinglichste kaufen:/ den Himmel./ Und dieser Mensch ist tot."

Alberti verleugnete nun das Regional-Atmosphärische, das seinem bisherigen Werk das Aroma des Authentischen gegeben hatte, und er spottete: "New York ist auch in Cádiz und Puerto,/ Sevilla in Paris, in Island oder Persien./ Ein Chinese ist kein Chinese. Und ein Transitpassagier/ mag ebensogut weiß sein wie grün oder schwarz. Um jede innere Verbundenheit mit seiner andalusischen Heimat in Abrede zu stellen, bezeichnete er sich einer führenden Zeitschrift gegenüber als "Norweger aus Intuition".

Pedro Salinas, ein anderer Vertreter der 27-er Generation, hat die Phase von Albertis negativer Theologie später als einen Vorgang der Moderne gedeutet, in dem es gleichwohl noch eine Art mittelalterlichen Nachbebens gab. Der Dichter sah sich ein paar Jahre lang als Spielball des Schicksals, eines blinden Geschehens, das ihn sagen ließ: "Man weiß nicht, ob der Süden nach Norden emigriert ist oder nach Westen." Oder, in totaler Hilflosigkeit: "Meine Seele hat sämtliche Regeln vergessen."

Wie viele Dichter der dreißiger Jahre suchte Alberti, der gestrandete Matrose poetischer Träume, Rettung an den Gestaden des Kommunismus. Schon in den Jahren der Republik wurde er zu einem militanten Klassenkämpfer - eine Haltung, die sich nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 noch verstärkte. Der Poet wurde jetzt vollends zu einem agitierenden "Dichter der Straße". Und wenn er seiner politischen Überzeugung auch niemals mehr abschwören sollte, so veränderte er doch nach dem Sieg der Faschisten allmählich den Ton.

In den Jahrzehnten seines Exils, das er zunächst in Südamerika und später in Italien verbrauchte, griff er, wenn auch nun mit einem Anflug von Wehmut und Nostalgie, auf das Repertoire seiner Anfänge zurück. Er schuf, die blaue Bucht von Cádiz im Gedächtnis, neben vielem anderen, einen großen Zyklus über die Gezeiten und einen anderen über seine alte Passion, die Malerei. Mit sensitiv-tastender Einbildungskraft näherte er sich den verschiedenen Farben. So ließ er das Weiß über sich selber sagen: "Unter allen Farben bin ich der beste Maurer." Und das Blau evozierte die elegische Frage: "Wie viele Blaus schenkte das Mittelmeer?"

In den 38 Jahren, die er im Exil verbringen musste, reagierte er seismographisch auf die Veränderungen der Welt, die sich technisierte und trivialisierte. Ähnlich wie sein Landsmann Jorge Guillén passte auch er im Alter sein poetisches Instrumentarium den realen Gegebenheiten an und entwickelte einen Jargon des Alltäglichen, der in seinem 1968 publizierten Band "Rom, gefährlich für Fussgänger" vollentwickelt wird, in smalltalkhaften lapidaren Gedichten, wie der Autor sie auch später, nach seiner Rückkehr nach Spanien schreiben sollte - mitunter zivilisationskritisch, bisweilen aber auch beschwingt auf geradezu jugendliche Weise: "Ich habe mir ein Rad gekauft./ Eine gesattelte Ziege, sicher, stabil./ Auf ihr durcheile ich die Welt./ Da ist ein Kilometerzähler/ und eine liebliche Klingel, die registriert/ alles, was vorbeikommt./ Schon 62 km zurückgelegt./ Ich bin in Toledo." Dieser vitale Schnappschuss findet sich in der Sammlung "Tägliche Versimprovisationen", die 1982 erschien, als der Dichter achtzig war - zehn Jahre bevor er den Wunsch äußerte, er wolle zusehen, dass er 125 Jahre alt werde.

Daraus ist nun nichts geworden. In der Nacht zum Donnerstag ist Rafael Alberti in seiner Heimatstadt Puerto de Santa Maria mit 96 Jahren gestorben. Alberti, der 1983 den Cervantes-Preis erhielt, die höchste Auszeichnung der spanischsprachigen Literatur, hatte in den vergangenen Jahren mehrmals wegen eines Lungenleidens behandelt werden müssen und seine Wohnung in letzter Zeit kaum noch verlassen. Er wird überlebt von seiner zweiten Frau Maria Asuncion Mateo. Alberti hatte erst 1990 die damals 44-jährige Literaturwissenschaftlerin geheiratet - ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau Maria Teresa Leon.

Rafael Alberti war nicht nur einer der bedeutendsten Dichter der spanischsprachigen Welt, er war auch eine schillernde Gestalt des politischen Lebens, die von Stalin empfangen, mit dem sowjetischen Lenin-Preis bedacht und von König Juan Carlos mit einem brüderlichen "Du" begrüßt wurde; ein Mann des Glanzes und des Ruhmes, aber auch der Irrungen, der sagte: "Weil Krieg war, ging ich einst fort mit geballter Faust; nun komme ich zurück mit offener, freundschaftlich ausgestreckter Hand."

Der Lyriker hat in der spanischen Cortes noch einige Jahre als kommunistischer Abgeordneter parteipolitische Residenzpflicht abgeleistet. Doch wichtiger als die Hingabe an eine Idee, die zusehends an Glaubwürdigkeit verlor, war ihm die Wiederbegegnung mit der Landschaft seines Ursprungs, die in wenigen Dezennien denaturiert worden war:

Durch jene Pinienhaine bist du

mit deinem Hund gegangen

hast von Eidechsen geträumt.

Jetzt stehen hier Wolkenkratzer.

Bloß das Meer blieb übrig.

Schwächer sein Gesang.

Abertis Bücher werden von Klett-Cotta und Suhrkamp verlegt. Dort sind auch seine Erinnerungen "Der verlorene Hain" erschienen.

Hans-Jürgen Heise

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