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Kultur: Der starke Wille

Selber denken: Pressekonferenz zu „Requiem“

Selten so wenig auf dem Podium erfahren. Selten so viel aus dem Publikum. Nein, er wolle sich lieber nicht festlegen, welche Botschaft er mit dem Film vermitteln wolle, erklärt Regisseur Hans-Christian Schmid auf wiederholte Nachfragen. Die Zuschauer sollten sich ihre eigenen Gedanken machen. Und die machen sie sich offensichtlich: die Journalisten, die das Team des Provinzdramas „Requiem“ mit langem, begeisterten Applaus empfangen, fühlen sich – eher unüblich für eine Pressekonferenz – wiederholt zu eigenen Deutungen aufgerufen, bekennen sich als verunsicherte Christen, sehen den Film als perfiden Mordfall oder Familiendrama, sprechen von Wut über die katholische Kirche, von Hilflosigkeit und Generationenkonflikten, von der bleiernen Zeit der Bundesrepublik, der Enge und Piefigkeit der siebziger Jahre.

Vor allem aber spricht aus jedem Beitrag Anerkennung gegenüber dem Film, der den Fall der tiefgläubigen Studentin Michaela Klingler, die an Epilepsie leidet, glaubt, Dämonen zu sehen, und schließlich nach wiederholten Exorzismen an Entkräftung stirbt, so ohne Sensationslust erzählt: Er endet mit der ersten Teufelsaustreibung, vom Tod Michaelas wird nur im Abspann berichtet. „Ich hätte die Szene, in der sie stirbt, nicht sehen wollen“, gibt Hans-Christian Schmid ehrlich zu. „Und ich finde es auch stärker, den Film in dem Moment enden zu lassen, in dem klar ist, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Und in dem zugleich klar ist, dass Michaela, ja dass alle Beteiligten in diesem Opfertod so etwas wie Stärke und Sinn gefunden haben. Das ist fatal, aber selbst wenn wir das heute nicht gern hören wollen: Für die Beteiligten ist es auch ein Trost.“

Die Tragödie eines freien Willens. Michaela Klingler habe sich, so der Schauspieler Burghart Klaußner, der Michaelas Vater spielt, in eine Mausefalle, eine Todesfalle begeben. Ihre Entscheidung, sich am Schluss nicht die eigene Freiheit, sondern die vermeintliche Freiheit des Glauben zu wählen, habe für ihn „auch etwas Fundamentalistisches“. Und die Schauspielerin Sandra Hüller, die in der Rolle der Michaela ihr Kinodebüt gibt und für ihr konzentriertes, schonungsloses Spiel bejubelt wurde, bekennt ebenfalls, dass ein so großer Glaube für sie eher bedrohlich sei: „So einfach ist diese Welt einfach nicht.“

Freiheit und Aufbruch, das sind große Themen des Films: ein junges Mädchen, das hoffnungsvoll ins Studentenleben startet und dem die Abnabelung von Zuhause letztlich nicht gelingt. Ein kleines, bescheidenes Glück, mehr habe Michaela nicht gewollt, erläutert HansChristian Schmid, und dass ihr das nicht gegönnt wird, „hat mich sehr berührt“. Deshalb haben der Regisseur und Drehbuchautor Bernd Lange den Film nach einer wahren Begebenheit auch in den siebziger Jahren belassen: „Die Siebziger waren eine Zeit des Aufbruchs, und für eine Hauptfigur, die ihren eigenen Aufbruch wagt, schienen sie mir die richtige zeithistorische Folie“, erläutert Lange. „Der deutsche Herbst kam später.“

Christina Tilmann

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