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Kultur: Der Staun-Effekt

Berlins Ethnologisches Museum zeigt endlich wieder seine Südsee-Schätze

Vor zwei Jahren schloss die Melanesienausstellung im Ethnologischen Museum ihre Pforten. Der Umbau der seit 1970 so gut wie unverändert gebliebenen Schau stand an. Warum er so lange gedauert hat, ist nur mit den zahlreichen anderen Projekten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Geldmangel zu erklären. Denn die Ausstellung bildet nicht nur das Herzstück der berühmten Südsee-Abteilung des Dahlemer Museums, sondern ist in Europa herausragend. Trotzdem wanderten einmalige Stücke wie die zwitterhaften Uli-Figuren aus Neu-Irland oder das originale Männerhaus von Palau ins Depot. Morgen wird die Ausstellung wieder eröffnet.

Die lange Pause scheint ihr gut getan zu haben. Wenn die Ausstellung eine Sportlerin wäre, würde man sagen, sie kommt erfrischt und aufgeräumt aus der Kabine. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Leiter der Südsee-Abteilung, Markus Schindlbeck, sich vom alten Dahlemer Konzept verabschiedet hat, möglichst viele Objekte aus vielen Regionen auszustellen. Statt dessen ist er den Prämissen Erlebbarkeit und Verständlichkeit gefolgt. Was einige schmerzhafte Entscheidungen unumgänglich machte.

„Ich musste die Ausstellung drastisch reduzieren, weil man viele Stücke wegen der Fülle gar nicht mehr wahrgenommen hat,“ so Schindlbeck, seit 1985 Kurator in Dahlem. Bei der Durchsicht sei selbst er immer wieder auf Gegenstände gestoßen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Ein Drittel der Werke hat er in den Keller verbannt, wo nun 97 Prozent der 60000 Stücke umfassenden Südsee-Sammlung lagern. Für die in der Ausstellung verbleibenden Stücke, die hauptsächlich aus dem Sepik-Gebiet und Neu-Irland stammen, ist es wie eine Befreiung. Am deutlichsten wird dies am Anfang, wo ein zweieinhalb Meter langer Walfisch, kunstvoll geschnitzt und bemalt, eine Vitrine fast ganz alleine einnimmt. Begleitet wird er von drei kleineren Fischen, die Schindlbeck mit anderen Stücken aus dem Keller befreit hat. Das Ganze fügt sich zu einem dynamischen Ensemble, das durch die luftige Vitrine zu schwimmen scheint.

Die Stücke sind so gewählt, dass ein Vergleich mit anderen Werken möglich ist und sie etwas über ihre Herkunft und Verwendung verraten. Denn die Figuren und Masken etwa sind eigentlich ohne die Bewegung ihrer Träger nicht zu verstehen. Um die Gegenstände aus ihrer musealen Erstarrung zu lösen, werden sie nicht nur von Texten über den historischen und sozialen Kontext begleitet, sondern erstmals auch durch Fotos und Filmausschnitte.

Vor allem die älteren Bilder – die Filme stammen aus den 1970er Jahren – schaffen eine neue Perspektive. Auf einem der großformatigen Fotos aus dem Jahr 1913 steht ein stolzer Mann mit Muschelkette. Neben ihm schaut eine Frau über einen Holzzaun – so scheint es zumindest. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass nur der abgeschlagene Kopf der Frau auf einem Pfahl liegt. „Ohne Kopf,“ erklärt Schindlbeck, „konnte ein Jugendlicher nicht Mitglied der Gemeinschaft werden. Er musste woanders Leben nehmen, um zu Hause Neues zu schaffen.“ Noch stärker als das Bildmaterial tragen jedoch neue Farben und Beleuchtung zur Wiederbelegung der Melanesien-Schau bei. Die neuen Vitrinenlampen – die alten waren seit 34 Jahren in Betrieb – schaffen eine hellere, wärmere Atmosphäre in dem fensterlosen Raum. Schindlbeck, der selbst drei Jahre in der Südsee gelebt hat, würde am liebsten sogar „das gleißende Licht der Südsee“ reproduzieren. Was nicht möglich ist, weil zahlreiche organische Materialen wie Federschmuck und Farben nur geringe Luxwerte vertragen.

Die mutigste Neuerung ist indes die Farbgestaltung der Vitrinen. Die dunklen Holzhintergründe sind durch grüne, gelbe, ocker- und anthrazitfarbene Wände ersetzt worden. Die leuchtenden Töne hat man sich bei den Südseebildern Paul Gauguins abgeschaut. Was ältere Kuratoren wohl in Ohnmacht fallen ließe, hier klappt es. Die Farben liefern dem Besucher nicht nur eine thematische Orientierungshilfe, sondern sie lassen die Ausstellungsstücke durch den Kontrast auch plastischer erscheinen. So treten dem Betrachter die Artefakte einer zerstörten archaischen Welt regelrecht entgegen. Der Exotismus, der oft ethnologische Ausstellungen dominiert, weicht einer neuen Lebendigkeit.

Ein Wermutstropfen bleibt: Die Segelboote und Kanus, seit jeher eine Publikumsattraktion in Dahlem, bleiben weiterhin vor dunklem Untergrund. Für eine Neugestaltung reichten die Mittel nicht. Ausgerechnet hier bleibt der „Effekt des Staunens“ aus, den Schindlbeck als ein Leitmotiv nennt. „In Mitte allerdings“, äußert er sich zum diskutierten Umzug der Sammlung ins wiedererbaute Stadtschloss, „wäre überhaupt kein Platz. Wir könnten die Schiffe dort gar nicht erst ausstellen. Wer Südsee sehen will, muss nach Dahlem kommen."

Ethnologisches Museum, Lansstraße 8, Eröffnung am 17. Juni um 19 Uhr. Aus Anlass der Wiedereröffnung der Südsee-Abteilung präsentiert das Museum außerdem die Ausstellung „Südsee-Welten. Bilder von Ingo Kühl“.

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