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Kultur: Der Stolz von Pretoria

Herzerwärmend: Das MIAGI Youth Orchestra eröffnet das Berliner Festival Young Euro Classic.

Der Euroraum droht zu schrumpfen. Young Euro Classic dagegen befindet sich auf Expansionskurs. Mit dem Motto „Von Europa in die Welt“ nimmt das Festival in diesem Jahr die Einflüsse europäischer und außereuropäischer Musikkulturen aufeinander ins Visier. Entgegen aktueller Trends wird hier sogar investiert, und zwar in eine der wohl heute stabilsten Währungen: Music Is A Great Investment – kurz: MIAGI nennt sich das Südafrikanische Jugendorchester, das zum wiederholten Mal bei Young Euro Classic das Konzerthaus mit Stimmung erfüllt.

Nicht nur Stimmung ging wiederum dem „Prolog“ zum Festivalauftakt am Vorabend ab. Einen eklatanteren Kontrast zwischen dem feierlichen Eröffnungskonzert und dem spannungslosen Gespräch zwischen dem künstlerischen Leiter Dieter Rexroth und drei für den ursprünglich angekündigten Philosophen und Schriftsteller Richard David Precht eingesprungenen jungen Orchestermusikerinnen, lässt sich schwer vorstellen. Während in London zu gleicher Stunde die Athleten aller Nationen ins olympische Stadion Einzug halten, „vereint Südafrika die Welt bereits in einem Land“. Das verkündet zumindest stolz der Gründer der MIAGI-Initiative Robert Brooks. Vielfalt verkörpert das MIAGI Youth Orchestra allemal: Die jungen Musiker, die in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen auftreten, vertreten sämtliche ethnischen, kulturellen und gesellschaftlichen Komponenten ihres Landes.

Vielfalt bestimmt ihren Musizierstil wie ihr Programm: Bernstein, Gershwin, Dvobák, Debussy sowie eine Komposition des MIAGI-Dirigenten Christian Muthspiel, der in seiner Symphonischen Dichtung „Out of South Africa“ diese Diversität aufs Effektivste zelebriert. Eine Saxofon-Band schmettert eingangs reißerischen Feelgood-Jazz in den Raum, gefolgt von süffigen Orchestertutti, Tempospielen, simplen Themen und noch simpleren Rückungen. Das südafrikanische Paradestück zeichnet sich vor allem durch viel Laune aus, die sich in Tanz und einheimischen Sprechchören ausdrückt. Die Frage, ob das den differenzierten Musikgeschmack trifft, verliert angesichts der ansteckenden Freude der Musiker völlig an Bedeutung.

Seine vorwiegend begleitende Rolle nimmt das Orchester im Zusammenspiel mit dem berühmten Geiger Daniel Hope in Dvobáks Romanze für Violine und Orchester op. 11 angemessen zurückhaltend wahr, doch erweist sich der flache, nüchterne Klang des Streicherkorpus als unvereinbar mit dem intensiven, stark von der Menuhin-Schule geprägten Klang des Solisten. Im Bereich solcher Finessen werden doch die Kulturunterschiede wieder laut. Die beachtlichsten Vorzüge des MIAGI Youth Orchestra kommen in den jazzigen Werken von George Gershwin und Leonard Bernstein zur Geltung: Der ausgeprägte Sinn für Rhythmik nicht nur im Perkussionsregister verleiht der Interpretation von Gershwins „An American in Paris“ locker-lässige Sprungkraft. Nicht vorhandene Berührungsängste im Zugriff auf die Instrumente wirken sich besonders auf das Bläserregister vorteilhaft aus. Der bestimmte Ansatz und kräftige Klang zeugt von einem natürlichen Selbstbewusstsein beim Musizieren. Auch kommt die ins Werk hineinkomponierte charmante Naivität ohne den von professionellen Orchestern oft aufgesetzten ironischen Unterton aus. Ein rares Erlebnis, das den herzerwärmenden Stolz der jungen Musiker durch und durch rechtfertigt.

Das Tor zur Moderne – Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ – bleibt den MIAGIs indes fest verschlossen. Auf Klangfarben, Parfum und Atmosphäre dieser Musik sowie frei atmende Phrasen wartet man vergeblich. Das Loslassen, das in den rhythmischeren Werken so wunderbar funktioniert, bei Debussy aber nicht gelingt, macht das Risiko einer offenbar weniger vertrauten Musiksprache spürbar. Den Begeisterungsstürmen des Publikums tut das allerdings keinen Abbruch. Und ja, die gefürchtete Vuvuzela, die man bang den ganzen Abend erwartet, kommt zu guter Letzt in einer der vielen karnevalesk ausartenden Zugaben auch zum Zug. Barbara Eckle

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