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Kultur: Der Tarif ist schief

Saisonauftakt im Berliner Abgeordnetenhaus: Die Theaterintendanten rechnen kleine Defizite vor – mit großer Wirkung

Intendantenparade im Berliner Parlament: Das war, als dieses Ritual vor ein paar Jahren zum öffentlichen Schaulaufen und -raufen umfunktioniert wurde, die unterhaltsamste Show der Hauptstadt. Gestern jedoch herrschte im Kulturausschuss ruhige Arbeitsatmosphäre. Zu den beliebten und gefürchteten Temperamentsausbrüchen kam es nicht. Das liegt zum einen daran, dass die Finanzprobleme der Berliner Bühnen bis zum Abwinken bekannt sind. Zum anderen konnte man sich der leisen Hoffnung nicht erwehren, dass sich so manches Defizit doch noch wird ausgleichen lassen.

Beim Grips-Theater zum Beispiel. Dieser herausragenden Institution fehlen 150 000 Euro. Grips-Chef Volker Ludwig machte in der Anhörung plausibel, dass dem Haus im nächsten Jahr der Konkurs drohe, falls der Senat diese Lücke nicht schließt. Der Tagesordnungspunkt „Grips“ war dann auch schnell abgehakt, da sich sämtliche Fraktionen für das Kinder- und Jugendtheater einsetzen wollen. Peanuts, möchte man denken, doch angesichts der Berliner Haushaltslage gestaltet sich jedwede Rettungsaktion als Staatsakt. Schließlich klagt Berlin in Karlsruhe auf Feststellung des Haushaltsnotstands.

Auch bei der Schaubühne geht es nicht um wirklich große Summen, wie man es aus der Vergangenheit kennt. Hier beläuft sich das so genannte strukturelle Defizit auf rund 1,3 Millionen Euro und ist keineswegs selbst verschuldet. Denn die vom Senat einst versprochenen Mittel für Sasha Waltz’ Tanztheater sind nie geflossen. Und auch hier wollen Abgeordnete und Kulturverwaltung endlich reinen Tisch machen und das wirtschaftlich und künstlerisch erfolgreiche Haus adäquat aussstatten. „Das wird ein hartes Stück Arbeit“, sagte Kultursenator Thomas Flierl. Er stellte sich noch einmal ausdrücklich hinter das zeitgenössische Konzept der Schaubühne, die vor vier Jahren mit Thomas Ostermeier und Sasha Waltz einen radikalen Neuanfang gewagt hat. Dahinter gehe man auf keinen Fall zurück, erklärte Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm.

Leider sind Grips und Schaubühne keine Einzelfälle. Denn beim Gorki Theater und beim carrousel liegen die Fehlbeträge deutlich höher, und das summiert sich. Dass die Berliner Bühnen in den vergangenen Jahren kräftig gespart und Personal abgebaut haben, steht außer Frage. Doch aus dem politischen Bereich ergeben sich ständig neue Hemmnisse und Widersprüche. Die Frage, ob und wie die Theater den Berliner Tarifbeschluss für den öffentlichen Dienst umsetzen sollen, zog sich wie ein roter Faden durch die Anhörung. Zwar kommt es nicht zu Gehaltssteigerungen. Doch Arbeitsplatzgarantien bis 2009 und die Verringerung der Arbeitszeit um rund zehn Prozent sind für Bühnenbetriebe schlicht kontraproduktiv – und teuer, wenn Aushilfskräfte eingestellt werden müssen oder es zu Ausfällen im Spielbetrieb kommt. Ebenso wenig ist einzusehen, weshalb Deutsches Theater (da drücken Altlasten von vier Millionen Euro aus der Langhoff-Zeit) und Gorki Theater nicht gemeinsame Werkstätten (im Schiller Theater) betreiben dürfen. Dies würde Einsparungen im sechsstelligen Bereich bringen. Doch die Kulturverwaltung zögert.

Es ist ein allgemeines Lehrstück. Wie spart man, ohne dass neue Löcher aufgerissen werden? Wie kann man Zuschüsse reduzieren, ohne dass Kapital und Potenzial zerstört werden? In dieser Situation scheint den Berliner Symphonikern die Rolle des Opferlamms zuzufallen. Deren Subventionen sollen ab 2005 komplett gestrichen werden: Die Zeche zahlt womöglich das Arbeitsamt.

Es gibt in Berlin durchaus zufriedene Intendanten. Frank Castorf von der Volksbühne zum Beispiel – er philosophierte in seiner muffig-gutgelaunten Art über seine fünf- bis sechsstündigen Inszenierungen: „Der Hang zum Masochismus muss in dieser Stadt sehr ausgeprägt sein. Die Leute kommen gern zu mir.“ Die Menschen gehen in Berlin überhaupt immer noch fleißig ins Theater. Von Theaterkrise war bei der Anhörung kaum etwas zu spüren. Selbst Claus Peymann, der Chef des Berliner Ensembles, machte nur ein kleines Fässchen auf. Ohne Lottomittel werde es ab 2006 eng, bis dahin habe man Rücklagen. Er bleibe nun in Berlin, „weil ich noch nicht so gut bin, wie ich sein möchte.“ Die Besten, sagte er, sind wir sowieso.

Rüdiger Schaper

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