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Kultur: Der Teufel kommt Theater-Höhepunkt bei den Berliner Festwochen:

ein Portrait des polnischen Regisseurs Krystian Lupa

Von Piotr Gruszczynski

Theater aus Polen: Das liegt so nah und seit einigen Jahren doch so fern. Nun präsentieren die Berliner Festwochen Krystian Lupa und das Stary Teatr Krakau mit einer monumentalen Bühnenfassung des Romans „Der Meister und Margarita“. Krystian Lupa gehört zu den Gründungsvätern des polnischen Theaters. Die Karriere des bald 60-jährigen Regisseurs, dessen Arbeit zum ersten Mal überhaupt in Berlin zu sehen ist, erklärt auch, warum das einst so legendäre Theaterland Polen nach der Wende 1989 in ein tiefes Loch fiel.

Lupa hielt sich lange Zeit am Rand des Theaterlebens in Polen auf. Als auf der Bühne noch die Politik – oder die politische Anspielung – dominierte, setzte Lupa im fern vom Zentrum gelegenen Jelenia Gora seine methaphysische Suche fort. Sein existenzielles, Philosophie, Religion und Psychologie auslotendes Theater ging mit dem damaligen Theaterkanon nicht Hand in Hand. In der allgemeinen Desorientierung nach dem Zerfall des Sozialismus gehörte Lupa zu den ganz wenigen Theaterleuten, die nicht paralysiert waren. Denn er musste nicht plötzlich eine neue Sprache suchen, da er immer schon jenseits der so genannten Aktualität arbeitete. Nach der Wende wurde die Existenz zum wichtigsten Thema im Theater. Man musste sich nun um ein Publikum kümmern, das sein Wertesystem (und den Feind) verloren hatte.

Lupa selbst bekennt sich zu zwei theatralischen Vorbildern: Konrad Swinarski und Tadeusz Kantor. Und er setzt zwei für die Originalität des polnischen Theaters wichtige Traditionslinien fort: die des Autorentheaters und die romantische Idee von der Verpflichtung des Künstlers. Autorentheater bedeutet: Der Regisseur entwickelt die gesamte Vision einer Inszenierung. Lupa entwirft selbst das Bühnenbild und die Kostüme zu seinen Aufführungen. Während der Vorstellungen sitzt er im Zuschauerraum, gibt das Tempo und den Rhythmus der Szene an. Man erinnert sich an Tadeusz Kantor, der einst wie ein Dirigent über die Bühne schritt und sein Theaterorchester leitete.

Ein rigoroses Theaterverständnis: Für Krystian Lupa soll die Kunst keine Unterhaltung sein, sie soll auch nicht helfen, die Zeit vor oder nach dem Abendessen zu verbringen. Die Aufgabe der Kunst ist, zur Erkenntnis zu führen, auch wenn die Lösung – wie bei „Meister und Margarita“ – zu einem tragischen Fiasko führt.

Inzwischen ist Krystian Lupa nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa bekannt für seine Romanadaptionen von Thomas Bernhard, Hermann Broch, Dostojewski, Musil, Rilke und nun Michail Bulgakow. Lupa beschreibt mit deutlichen und schmerzhaften Diagnosen den Werteverlust unserer Zeit. Lupa ist auch Pädagoge an der Theaterhochschule in Krakau. Fast alle wichtigen Theaterregisseure der jungen Generation in Polen sind in seiner Klasse gewesen, unter ihnen Krzysztof Warlikowski und Grzegorz Jarzyna, die beide auch schon zu den Stammgästen der europäischen Theaterfestivals zählen und kürzlich im Berliner Hebbel-Theater mit großem Erfolg gastierten.

Die Uraufführung von „Der Meister und Margarita“ war im Mai in Krakau. In einem Interview sagte Lupa : „Bulgakows Roman ,Meister und Margarita’ scheint mir mindestens in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen tragen wir immer noch den vom Regime kreierten absurden Menschen in uns. Zum anderen ist da die wachsende Unruhe, das Gefühl einer nahen, unbekannten, feindlichen Kraft, die nicht nur die heute in einem totalitären Regime lebenden Menschen betrifft. Die Stadt, in der der Dämon erscheint, kann heute überall sein." Bulgakows berühmter Roman spielt im Moskau der dreißiger Jahre – und in einer Parallelhandlung zu Zeiten Jesu Christi. Das Werk konnte in der Sowjetunion erst posthum erscheinen.

Lupas Spektakel, das größte Projekt der diesjährigen Berliner Festwochen, ist auf zwei Abende verteilt und dauert insgesamt neun Stunden. Krystian Lupa ist nicht der einzige, der sich im Augenblick von Bulgakow angezogen fühlt. Frank Castorf brachte seine „Meister und Margarita“-Version bei den Wiener Festwochen heraus, demnächst auch an der Berliner Volksbühne. Bei Castorf dauert die Reise fünf Stunden. Die entscheidende Frage ist: Wer ist der Bulgakowsche Teufel? Ist der Teufel böse? Dann müsste es eine Opposition geben – das Gute. Aber wo soll man danach suchen?

Das Unvollendete bleibt das wichtigste Element von „Der Meister und Margarita“. Und so könnte am Ende die Botschaft heißen: Man muss zerstören, um zu bewahren. Auch die Kunst.

„Der Meister und Margarita“, polnisch mit deutschen Übertiteln, Haus der Berliner Festspiele. 10. Okt. (1. Teil), 11. Okt. (2. Teil), 12. Okt. (beide Teile). Sonntag, 13 Uhr, Gespräch mit K. Lupa (Leitung: Renate Klett)

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