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Kultur: Der Tod und das Märchen

Passion eines Modefotografen: François Ozons Männer-Melodram „Die Zeit, die bleibt“

Die Diagnose ist endgültig: Hirntumor. Romain, 30 Jahre alt, ein erfolgreicher, egozentrischer schwuler Modefotograf hat nur noch ein paar Wochen. Er will keine Chemotherapie, kein Mitleid, keine Begleiter auf seinem letzten Weg. Wählt lieber die Isolation, zieht sich zurück, schottet sich ab mit seinem Krebs.

Filme über das Sterben bilden fast schon ein eigenes Genre: Die Nähe des Todes verdichtet wie ein Brennglas die Bilder vom Leben, schärft den Blick, verschiebt die Bedeutungen. So war es in Ingmar Bergmans Meisterwerk „Wilde Erdbeeren“, den François Ozon in „Die Zeit, die bleibt“ zitiert. Was zählt noch im Angesicht des Endes? Davon handeln Aids-Klassiker wie „Philadelphia“ oder jüngere Filme wie Patrice Chéreaus „Sein Bruder“, Isabel Coixets „Mein Leben ohne mich“ oder Alejandro Amenábars „Das Meer in mir“ mit Javier Bardem.

Variation eines Themas: Ozons Protagonist ist ein Unsympath, den das Todesurteil keineswegs zum besseren Menschen macht. Zunächst jedenfalls nicht. Er poltert herum, verrät nichts über den Krebs, stößt die Familie vor den Kopf, vor allem die Schwester mit ihren kleinen Kindern, schickt seinen jüngeren Lover (der deutsche Theaterschauspieler Christian Sengewald) endgültig weg. Wobei Romains aggressive Seite sich nicht recht mit der sanften Attitüde von Hauptdarsteller Melvil Popaud verträgt. Auch die Liebeskriegsstimmung des schwulen Paars bleibt seltsam körperlos.

Ozon geht es weniger ums Physische als ums Metaphysische in diesem Männermelodram in Cinemascope, dem zweiten Teil seiner Trilogie über die Trauer. Im ersten Teil, „Tropfen auf heiße Steine“ aus dem Jahr 2000, spielte Charlotte Rampling eine Frau, die sich weigert, den Tod ihres Manns zu akzeptieren. Mit kühlem Blick beobachtete Ozon die Seelenschmerzstarre jener Frau, die den Konventionen im Umgang mit dem Tod trotzt, nachdem ihre Liebe an einem Strandtag auf mysteriöse Weise für immer verschwindet. Und doch kam Ozon ihr dabei sehr nahe. Diesmal ist es umgekehrt: Da akzeptiert einer ohne Protest den eigenen Tod – und Ozon wird sentimental.

Nach seinem furiosen Krimi-Musical „Acht Frauen“ inklusive Divenkrieg unter Frankreichs Leinwandgöttinnen, nach der vor Coolness funkelnden Erotik-Farce „Swimming Pool“ mit Ludivine Sagnier und Charlotte Rampling, nach dem streng konstruierten, bewegenden Ehedrama „5 mal 2“, schlägt der 38-jährige französische Regisseur sanftere Töne an. Denn Romain läutert sich nach und nach doch. Die Elegie auf die Einsamkeit als Prozess einer Befriedung: Sogar die Schwester mit den Kindern fotografiert Romain am Ende, heimlich im Park, nachdem er sich ein Berufsleben lang geweigert hatte, fürs Familienalbum zu knipsen. Die Bilder, die bleiben.

Womöglich liegt es an der Distanz: Frauen kann Ozon überzeugender inszenieren. Jeanne Moreau zum Beispiel in ihrer Nebenrolle als Großmutter Laura, der sich Romain bei einem Besuch im Landhaus als Einziger anvertraut. Schließlich eint sie das Wissen um den nahenden Tod. Kurzer, erfrischend unsentimentaler Auftritt einer in Würde gealterten unwürdigen Greisin: Laura zeigt Romain all die Medikamente, die sie einnimmt, um „bei bester Gesundheit“ sterben zu können, wie sie sagt. Sie schläft nackt, der Enkel schaut nicht hin und legt sich zu ihr.

Oder Valeria Bruni-Tedeschi als Zufallsbekanntschaft an der Autobahnraststätte. Die linkisch-verlegene Art, mit der die junge Frau ihren ungewöhnlichen Wunsch vorträgt, berührt einen mehr als die Agonie des Helden. Sie möchte ein Kind, ihr Mann ist zeugungsunfähig, deshalb soll Romain mit ihr schlafen, in Anwesenheit des Gatten. Ozon konstruiert in all seinen Filmen, aber diesmal ohne Tücke, ohne Raffinesse: Die zärtliche Menage à trois zum Zweck der Fortpflanzung verklärt er zur heiligen Handlung, auch ästhetisiert er Romains körperlichen Verfall.

Ein Kind wird geboren, und Romain blickt zurück auf die eigene Kindheit. Verlorene, wiedergewonnene Unschuld. Lauter Chiffren: Ein Fotograf rekapituliert Lebensbilder und erträumt sich in Rückblenden ein Leben nach dem Tod. Die langen, unspektakulären Einstellungen von Kamerafrau Jeanne Lapoirie grundiert Ozon mit den spirituellen Klängen von Arvo Pärt. Romain, eine moderne Passionsfigur? Es mag respektlos klingen, aber vielleicht hat Ozon einfach zu viel Respekt vor dem Tabu des Sterbens.

Schlafes Bruder kommt pünktlich zum Sonnenuntergang am Meeresstrand, jenem Schauplatz, an dem Charlotte Rampling einst saß. Und Romain spielt Ball mit dem Jungen, der er einst war. Ein frommer Wunsch: dass der Tod so leicht seinen Stachel verliert. Im letzten Teil seiner Trauer-Trilogie will Ozon vom Tod eines Kindes erzählen.

Ab Donnerstag in acht Berliner Kinos. OmU im Cinema Paris und Hackesche Höfe. Am heutigen Mittwoch eröffnet das Babylon Mitte eine Ozon-Retrospektive mit „Ein kriminelles Paar“ aus dem Jahr 1999 (21.30 Uhr). Bis 3. Mai. Genaues Programm unter www.babylonberlin.de

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