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Kultur: Der Tod und die Mädchen

Schöner sterben: Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“ I–III in Hamburg uraufgeführt

Die Schönste, die Schlafende, die Schriftstellerin – Elfriede Jelineks Mädchen finden kein Märchenende, auch nicht, wenn sie Schneewittchen oder Dornröschen heißen. Sie warten nicht auf den Prinzen, sondern suchen nach Wahrheit, sie wollen selbst denken und selbst sein. Wer von Elfriede Jelinek erdacht ist, hat kein leichtes Leben, besonders nicht auf einer Bühne. Im Hamburger Malersaal sieht das so aus: Da stehen Schneewittchen und der Jäger ziemlich angewurzelt und reden. Da steht und schreitet Dornröschen, und ihr Prinz steht ziemlich lange angewurzelt, bis er sie und sich zum Rammeln immerhin mit Tierkostümen verkleidet. Da steht und steht und steht Rosamunde, Schuberts musikalisch zur Unsterblichkeit vertonte Prinzessin, bis sie ein paar Runden laufen muss und ihr Verehrer und Feind Fulvio sich auch mal auf den Boden strecken darf. Ziemlich untheatralisch, diese Veranstaltung. Regisseur Laurent Chétouane ist noch minimalistischer als sonst, streicht etwaige bewegte Einlagen wie die Zwerge und bei Dornröschen die Hühner (!) und lässt Jelineks Texte sprechen, sonst nichts.

Das kann spannend sein, wenn Schneewittchen Ursula Doll in zartem Prinzessinnenkleid aus weißen Federn überm nackten Leib und der kompakte, festgefügte Jäger Martin Bross ihre Texte denken beim Sprechen. Da hält das Publikum den Atem an, denkt mit und keiner hustet. Das wird schon kippelig, wenn Dornröschen Ursina Lardi in edlem dunkelblutroten Rankengewand überm nacktem Leib eher vorgibt, als denke sie beim Sprechen und der Prinz Florian Lange Mühe hat, sich als denkend darzustellen. Das wird peinlich, wenn die großartige Marlen Diekhoff als Rosamunde zugerichtet wird mit einem Nachthemd, ähnlichem Sackgewand und Wasserleichenhaar. Ein altes, grämliches Kind, das sich beschwert und gar keinen Humor zeigt. Diekhoff fühlt beim Reden auf ganz altmodische Theaterart jeden Satz einzeln, fasst, wenn von einem krönenden Reif die Rede ist, sich brav ans Haar. Und sie hat eigentlich gar keinen Partner, Fulvio Sebastian Weber ist jung und blass und was er da soll, versteht er nicht und wir schon gar nicht.

Der Inhalt dieser drei Damen-Denkspiele: Schneewittchen, bereits vergiftet, sucht die Wahrheit jenseits der Schönheit hinter den sieben Bergen bei den Zwergen und findet in Gestalt eines Jägers den Tod, der aber nicht die letzte Wahrheit ist. Schönheit und Wahrheit und ihre Unvereinbarkeit.

Dornröschen, kusslos erwacht, sucht sich selbst und findet leider nur den Prinzen, der sich sogleich als Gott fühlt, weil er sie zum Leben erweckt hat. Die Frau endet mit dem Mann. Seele und Körper und ihre Unvereinbarkeit. In sehr lustigen Tierkostümen (wie die Prinzessinnenkleider von Sanna Dembowski) wird der Mensch deutlich zum Tier und der tierische Prinz rammelt Denken und Seele aus der tierischen Prinzessin und damit das Leben. Tod Nummer zwei.

Tod Nummer drei, von der zypriotischen Prinzessin Rosamunde (im 19. Jahrhundert erdacht von Helmina von Chézy), hier Schriftstellerin, ist das Versagen ihrer Stimme: „Meine Stimme. Sagt nichts.“

Ihr abschließender Kommentar, nachdem sie sich vom männlichen Gegenspieler Fulvio verhöhnen lassen musste: ihr Schreiben ein Recyclingprodukt, sie selbst ein ordinärer Napfkuchen. Nachdem sie sich ausgiebig selbst bemitleidet, beschimpft und ironisiert hat. „Ich selige Erfolgsfrau, ich fundamental-feministischer Single aus Überzeugung.“ Der dritte Tod ist die dritte Unvereinbarkeit: Frau sein und Denkerin, Schriftstellerin sein.

Jelineks ewiges Thema: Dass Frauen eigentlich unsichtbar sind, nur durch den Blick der Männer existieren, dass Frauen jung und schön sein müssen, dass denkende, dichtende, komponierende Frauen nicht vorgesehen sind in der Männerwelt, wertlos sind, Napfkuchen eben: Mit „Rosamunde“ hat Jelinek das überführt ins erstaunlich Persönliche, ein ziemlich erschreckender Aufschrei, trotz aller Kalauer, trotz aller Ironie.

Als Regisseur müsste man das ebenfalls weiterführen, in Richtung Theater nämlich. Doch nichts davon. Ausgerechnet im Malersaal in Hamburg. Wo Jossi Wieler mit Dramaturg Tilman Raabke und Bühnenbildnerin Anna Viebrock bis heute unerreicht Jelineks „Wolken.Heim“ einen mehr als doppelten Boden eingezogen hat, Geschichten unterlegt, einen spezifischen und zugleich mehrdeutigen Raum gegeben hat. Ausgerechnet am Hamburger Schauspielhaus, wo Frank Castorf Jelineks „Raststätte“ mit Dialektik, Witz und Frechheit, die Autorin selbst nicht schonend, mit viel Bühnenschmutz und Bildkraft überformte.

Jelineks Texte kann man nicht eins zu eins auf die Bühne bringen. Bei dieser kargen Uraufführung gibt es nur nackte Malersaalwände und einen etwas erhöhten Bühnenboden. Viel Musik und schöne dazu (von Lenard Schmidthals). Aber wenn nach Schneewittchens Ende keine Zwerge auftauchen, sondern der Zwergtext, ein ironischer Abgesang auf das Versagen der Schönheit, von einem überirdisch schönen Knabensopran gesungen wird, während auf der Bühne wieder mal nichts, aber auch gar nichts passiert, dann ist das zwar weitergedacht, doch nahezu unverständlich, und statt komisch-ironisch wirkt es sakral. Ein anderer Regisseur bitte, hilf! Demnächst in Graz, und Teil Vier und Fünf über Jacky O. , Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann demnächst von Hans Neuenfels am Deutschen Theater in Berlin.

Ulrike Kahle

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