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Kultur: Der Totentänzer

Nazikunst? Wiens Leopold-Museum zeigt das umstrittene Werk des Bauernmalers Albin Egger-Lienz

1939 erhielt Adolf Hitler vom „Reichsgau Kärnten“ das Gemälde „Bauernpaar“ von Albin Egger-Lienz zum Geschenk. Dem „Führer“ gefiel das Bild offenkundig nicht; er gab es unverzüglich an die Kärntner Landesgalerie weiter. Ein flüchtiger Blick genügt, das Missfallen des verhinderten Kunstmalers Hitler zu verstehen: Keine strahlenden Landleute werden da gezeigt, sondern zwei abgearbeitete Menschen in erdigen Tönen. Gleichwohl entstand das bis heute gängige Vorurteil, Egger-Lienz sei ein Maler von Nazikunst.

Diese Missdeutung erhält derzeit wieder reiche Nahrung, da das Wiener Leopold-Museum eine Retrospektive des Osttiroler Malers zeigt, wie es sie in der ganzen Nachkriegszeit nicht gegeben hat. Das Œuvre des heimatverwurzelten Albin Egger (1868–1926), der seinem Namen den der Heimatstadt Lienz anfügte, ist außerhalb Österreichs nahezu unbekannt. Im Land selbst wird er seit jeher als Tiroler Lokalmaler vereinnahmt. Und doch hat Rudolf Leopold, der eigensinnige Verfechter einer spezifisch österreichischen Kunst, recht daran getan, Egger-Lienz so umfassend und bisweilen auch ermüdend vorzustellen, wie das im Untergeschoss des nach ihm benannten Museums geschieht.

Albin Egger-Lienz war ebenso monomanisch wie geschäftstüchtig, was im Verbund zu endlosen Wiederholungen und Variationen seiner, wiederum durch zahlreiche Studien vorbereiteten, Bilder führte. Das „Mittagsmahl“ zum Beispiel hat er an die 30 Mal variiert. So ist denn auch der zurzeit heftig wogende Streit darüber, ob Leopold in „seinem“ – immerhin vom Staat finanzierten – Museum mehrere von den Nazis geraubte Werke zeige, einigermaßen verwirrend, da Leopold bislang unwiderlegte Provenienzen anführt. Umgekehrt ziehen seine Kritiker nicht in Erwägung, dass andere Fassungen der als Raubkunst verdächtigten Leopold-Bilder von der Gestapo beschlagnahmt worden sein könnten. Pikant ist ohnehin, dass der angebliche Nazikünstler gerade bei jüdischen Sammlern so hoch im Kurs stand. Doch Leopold, der sich schon immer über die 1998 – und zwar durch Beschlagnahmung eines seiner Schiele-Gemälde in New York! – lawinenartig in Gang gekommene Restitutionspraxis mokiert hat, konnte sich bislang nicht zu einer unabhängigen Prüfung aller Erwerbungen durchringen. Betroffen sind im Übrigen mehrere Leihgeber: öffentliche Museen außerhalb Wiens, die sich bislang auch zweifelhafter Nachkriegserwerbungen sicher sein konnten.

Wie auch immer: Durch diese Kontroverse fällt abermals ein Schatten auf das Werk von Egger-Lienz. Dabei hat es Aufmerksamkeit verdient. Der an der konservativen Münchner Akademie des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausgebildete Maler hat sich zwar von Anfang an auf regionale Themen beschränkt, sich unter dem Eindruck der großen Münchner Historienmalerei intensiv mit dem Mythos des Tiroler Aufstandes von 1809 beschäftigt und parallel dazu bäuerliches Genre gemalt, fand aber im Ersten Weltkrieg das große Thema seines Lebens.Die Darstellungen von Leben und Tod, von der Unausweichlichkeit des menschlichen Daseins wären ohne die Erfahrung des Krieges kaum denkbar.

„Ich male keine Bauern, sondern Formen“, hat Egger-Lienz sich in seinen reifen Jahren gegen die Geringschätzung als Bauernmaler zur Wehr gesetzt. Wohl wahr: Egger-Lienz ist ein Monumentalmaler, dem es an den großen Aufträgen für seine zur Füllung ganzer Wände drängenden Malerei gebrach. Doch auch auf Leinwand sind seine Formate groß, so groß, dass sie die Räume im Untergeschoss des Wiener Museums schier zu sprengen scheinen. Der wichtigste Saal versammelt die Bilder des Krieges – und des massenhaften Sterbens. Als choreografierte, gesichtslose Reihung stürmen die Soldaten in „Nordfrankreich“ von 1917 über die ebenso gleichförmigen Ackerfurchen, gegen den Boden geduckt, ja verwachsen mit dem Erdreich selbst. Als Tote wiederholen sie, der Länge nach hingestreckt, im „Leichenfeld“ von 1917/18 die befohlene Ordnung. Erst im durchweg lehmfarbenen „Finale“ von 1918 liegen die Gestorbenen wild übereinander, ist der Augenblick des Todes bereits überformt vom fahlen Schein der knochigen Gesichter.

Kaum anders sehen die „Kriegsfrauen“ von 1918/22 aus: stumme Anklage der Witwen, die, obwohl in der niedrigen Stube beisammen, keinerlei Zwiesprache finden können. Im Spätwerk der „Pietà“ von 1926 verdichtet sich die düstere Weltsicht des Malers: Der Leichnam, um den drei Personen vereinsamt trauern, ist ikonografisch zwar vom „Toten Christus“ Mantegnas hergeleitet, aber hier, mitten unter den Bauern auf rohem Tisch, eben doch nur ein toter Mensch, unwiderruflich gestorben und bar jeder Aura. „Christi Auferstehung“, zwei Jahre zuvor, ist eine eher pflichtgemäße Hoffnung des ob seiner Schonungslosigkeit von der Amtskirche befehdeten Malers.

Mit der Einbeziehung von Vergleichswerken macht die Ausstellung auf den Einfluss Hodlers und Segantinis aufmerksam. Doch schon das frühe Erfolgsmotiv der „Bergmäher“ entsteht eigenständig und bereits vor Hodlers „Mäher“ von 1912. Die Wendung zur düsteren Monumentalität des Spätwerks ist eine ganz eigene Leistung, die sich bereits 1908 im „Totentanz von Anno Neun“ ankündigt, dann aber durch das Erlebnis des Krieges geradezu zwingend wird. Der „Totentanz“ wurde in einer patriotischen Ausstellung zum 60. Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs II. gezeigt und erfuhr herbe Missbilligung, weil das Gemälde gerade nicht hurrapatriotisch war, sondern, wie der Maler selbst betonte, „die Schrecken des Krieges“ zeigt. Egger-Lienz wurde „sozialdemokratischer Tendenzen“ verdächtigt und von einer Professur an der Wiener Akademie ferngehalten. Er blieb in seiner Osttiroler Heimat.

Künstlerisch steht Egger-Lienz für die figurativen Tendenzen nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa. Das hätte der anspruchsvolle, thematisch gleichwohl zu eng angelegte Katalog näher beleuchten müssen. Die Wiener Ausstellung, so eindrucksvoll sie ist, versucht vergeblich, den Künstler in einen internationalen Kontext einzubinden und ihn damit zu nobilitieren. Albin Egger-Lienz bleibt ein Einzelgänger, dessen Lebensthemen seltsam quer stehen zum Zeitgeist der Zwischenkriegszeit, in der er Werke von höchster Eindringlichkeit schuf. Auch wenn uns das Schicksalsschwere seiner Auffassung heute denkbar fremd geworden ist: Diese Retrospektive des Leopold- Museums war überfällig.

Wien, Leopold-Museum, Museumsquartier, bis 29. Mai. Katalog im Christian Brandstätter Verlag, 29,50 €, geb. 49,90 €.

Hitler bekam 1939 das Gemälde Bauernpaar von 1910 (heute: „Mann und Weib“) geschenkt. Es stammt womöglich aus einer jüdischen Sammlung. Heute hängt es im Landesmuseum Kärnten.

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