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Kultur: Der Traum vom perfekten Markt

Ebay-Gründer Omidyar wollte die Welt verändern, das ist ihm zum Teil gelungen. Er wurde reich.

Pierre Omidyar erinnert sich an den Moment, als ihm klar wurde, dass die klobige Website, die er aus dem Gästezimmer seines Reihenhauses im Silicon Valley betrieb, die Welt verändern könnte: Es war der Moment, als er seinen Laserpointer verkaufen wollte. Damals hieß Ebay noch AuctionWeb und hatte nur sieben Kategorien, die sich in schmaler, schwarzblauer Schrift auf grauem Grund präsentierten. Die wenigen angebotenen Artikel waren meist alte Festplatten, gebrauchte Modems und ähnliche Schätze für den Computerbastler. Um zu sparen, ließ Omidyar AuctionWeb auf dem Server seiner persönlichen Homepage laufen. Er hatte versucht, seine Freunde und Kollegen von der Idee zu begeistern, doch die reagierten äußerst verhalten.

Das Internet war immer noch so Furcht einflößend, dass selbst große Unternehmen Schwierigkeiten hatten, ihre Kunden davon zu überzeugen, online Geld auszugeben. Und nun behauptete ein Programmierer mit Pferdeschwanz, der aussah, als sei er gerade mal 18, dass auf seiner seltsamen kleinen Website, von der noch nie irgendjemand gehört hatte, Fremde in Online-Auktionen miteinander Geschäfte machen würden. Selbst Omidyars beste Freunde fanden diese Vorstellung ein wenig absurd.

In dieser Zeit erinnerte Omidyar sich an seinen Laserpointer, ein billiges Spielzeug, mit dem der Management-Nachwuchs auf seine Präsentationen zeigte und das er selbst in einem seltenen Moment des Ehrgeizes gekauft hatte. Benutzt hatte er es bisher nur, um den roten Punkt auf seinen Teppich zu strahlen und zuzusehen, wie seine Katze diesem stundenlang nachjagte; nach zwei Wochen gab das Gerät den Geist auf. Omidyar wechselte ohne Erfolg die Batterien und war kurz davor, den defekten Laserpointer wegzuwerfen. Stattdessen entschied er sich, ihn zu versteigern. Es wäre eine gute Möglichkeit, AuctionWeb zu testen, und würde ihn nichts kosten. Die Auktion überschrieb er mit „Defekter Laserpointer“, nannte die genaue Nummer des Modells und erklärte, er habe für das neue Gerät 30 Dollar bezahlt. In der ersten Woche gab es keine Gebote. Omidyar sah in der zweiten Woche noch einmal nach und stellte fest, dass jemand tatsächlich drei Dollar geboten hatte. Ein anderer bot kurz darauf vier Dollar. Am Ende der zweiwöchigen Auktion hatten die Gebote 14 Dollar erreicht – für einen so gut wie wertlosen Gegenstand. Als Omidyar den defekten Laserpointer verpackte und an den Höchstbietenden verschickte, wurde ihm klar, dass AuctionWeb eine große Zukunft hatte.

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Omidyar erzählte die Geschichte an einem kühlen Oktobermorgen bei Fouquet’s, einem Straßencafé auf den Champs-Élysées in Paris. Mittlerweile fiel es ihm gar nicht mehr so leicht, sich an die frühen Tage zu erinnern. Dabei waren gerade einmal vier Jahre vergangen, seit er Anfang September 1995 AuctionWeb gestartet hatte. Vier Jahre, die es in sich hatten: Ebay war ein Online-Marktplatz, der mehr wert war als Sears oder Kmart und J.C. Penney zusammen. Omidyar selbst war mit einem Vermögen von mehr als vier Milliarden Dollar zum reichsten 32-Jährigen der Welt geworden.

Omidyar glaubte an die freie Marktwirtschaft, war aber beunruhigt über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Die Finanzmärkte sollten frei und offen zugänglich sein, doch wohin er auch sah, profitierten Insider mit guten Kontakten von Informationen, zu denen normale Leute keinen Zugang hatten. Ihm kam der Gedanke, dass das Internet dieses Problem lösen könnte, indem man etwas errichtete, was bisher nur in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern existierte: einen vollkommenen Markt. Anstatt Produkte von einer zentralen Quelle aus zu verkaufen, sollte Ebay alle Marktteilnehmer untereinander verbinden, so dass jeder über das Netzwerk von jedem kaufen und an jeden verkaufen konnte. In dem Markt, der Omidyar vorschwebte, würden für alle die gleichen Bedingungen herrschen. Alle Käufer hätten die gleichen Informationen über Produkte und Preise, und alle Verkäufer hätten die gleichen Möglichkeiten, ihre Waren anzubieten.

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Omidyar verfügte nicht über die Mittel, mit denen andere Websites vermarktet wurden: kein Werbebudget, keine PR-Berater, keine Vereinbarungen mit anderen Sites. Doch er platzierte Ankündigungen in verschiedenen Newsgroups, in denen er seine „kostenlosen Web-Auktionen“ vorstellte. Ende 1995 hatte AuctionWeb bereits tausende Auktionen durchgeführt und mehr als 10 000 individuelle Gebote entgegengenommen. Omidyar bot AuctionWeb noch immer kostenlos an. Dies war möglich, weil er fast keine Unkosten hatte und er die Website noch immer über Best, seinen privaten Provider laufen ließ. Ende 1995 begannen sich jedoch die Administratoren zu beklagen, dass AuctionWeb so viel Verkehr anzog, dass das gesamte System langsam wurde. Ab Februar 1996 berechnete man ihm 250 Dollar im Monat, den Preis für einen gewerblichen Zugang.

„In dem Moment dachte ich, Mensch, das ist ein tolles Hobby, aber 250 Dollar im Monat sind viel Geld“, erinnert sich Omidyar. Um seine Rechnungen zu bezahlen, führte er Gebühren ein: fünf Prozent des Verkaufspreises für Artikel unter 25 Dollar, 2,5 Prozent für Artikel darüber. Als er Ende Februar die Schecks, die Münzen und die zerknitterten Scheine zusammenzählte, stellte er fest, dass AuctionWeb über 250 Dollar eingenommen hatte – mehr also, als er Best für seinen Internet-Service bezahlen musste. Damit spielte seine kleine Website in einer exklusiven Liga: Sie gehörte zu den wenigen Internet-Unternehmen, die vom ersten Monat an profitabel arbeiteten.

Im März erreichten die Einnahmen 1000 Dollar. Im April stieg die Zahl auf 2500 Dollar, und im Mai nahm AuctionWeb 5000 Dollar ein. Im Juni, nachdem der Umsatz 10 000 Dollar erreicht hatte, war für Omidyar der Punkt erreicht, an dem er AuctionWeb als echtes Unternehmen betrachtete. „Ich hatte ein Hobby, mit dem ich mehr Geld verdiente als mit meiner regulären Arbeit. Es war an der Zeit, meinen Job aufzugeben.“

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Die Theorie lehrt, dass Auktionen sich für die meisten Güter gar nicht besonders eignen. Sie sind zu arbeitsintensiv und zeitaufwendig für Produkte, deren Preis gut bekannt oder zu schätzen ist. Auktionen eignen sich jedoch besonders gut, um den Preis für ein Gut zu ermitteln, dessen Wert unbestimmbar ist. Ende 1996 waren Sammler die treibende Kraft hinter dem Erfolg von AuctionWeb: In viereinhalb Monaten nahm die Zahl der Auktionen in den Rubriken für Antiquitäten und Sammlerstücke um 350 Prozent zu. Jede Woche kamen neue Rubriken, wie zum Beispiel antikes Spielzeug oder historisches Nähzeug, hinzu. Zu Beginn des Jahres 1997 machten die zuvor dominanten Auktionen von Computerteilen nur noch 14 Prozent der Angebote aus.

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Im Dezember 1997 saß David Eccles in Mount Aukum, etwa eine Stunde nordwestlich von Sacramento, über einen alter Computer gebeugt und verfolgte die letzten Minuten einer Ebay-Auktion. Das letzte Gebot war von Eccles selbst abgegeben worden, ohne dass dieser seine Tastatur berührt hätte. Es wurde von einer „Sniping“-Software abgeschickt, die er selbst entwickelt und programmiert hatte. Sniping, das heißt das Abgeben eines Gebotes in letzter Sekunde, nutzt die Tatsache aus, dass Ebay-Auktionen eigentlich gar keine richtigen Auktionen sind. Eine klassische Auktion geht so lange weiter, bis niemand mehr bereit ist, das Gebot zu erhöhen. Bei Ebay hingegen enden die Auktionen nach einem festgelegten Zeitraum von drei, sieben oder zehn Tagen, egal ob danach noch jemand ein höheres Gebot abgeben möchte. Aus dieser Besonderheit machte Eccles seine Karriere.

Mit seinem weißen Haar und einem buschigen Bart sah er aus wie ein Ernest Hemingway mit Internet-Anschluss. Bei seinen ersten Auktionen verkaufte er problemlos einige Glaswaren zu niedrigen Preisen, aber mit einer ansehnlichen Gewinnspanne. Einzelne Stücke, für die er auf dem Flohmarkt fünf Dollar bezahlt hatte, gingen für 25 Dollar an Käufer an der Ostküste. Schon bald lief das Geschäft so gut, dass Eccles einen Partner an Bord holte. Wie viele Ebay-Verkäufer begann er irgendwann, auch etwas zu kaufen. In seinem Fall waren es Kupfertöpfe, die seine Frau sammelte. Er fand schnell heraus, dass es das Beste war, erst in letzter Sekunde ein Gebot abzugeben. So konnte er oft mit einem relativ niedrigen Gebot erfolgreich sein, weil der Konkurrenz keine Zeit blieb, dagegen zu halten. Er wurde immer besser und arbeitete mit bis zu 15 gleichzeitig geöffneten Browser-Fenstern. Während der letzten Sekunden einer Auktion konnte er so ein Gebot abgeben und, falls nötig, sofort reagieren, sollte ein anderer Bieter ihn noch übertreffen.

Eccles wusste genug über Computer, um sich klar zu sein, dass dieser „Sniping“-Prozess mit Hilfe einer Software noch zu verbessern war. Indem sie den Prozess automatisierte, könnte eine Sniping-Software es den Käufern ermöglichen, sogar auf Auktionen zu bieten, die endeten, während sie bei der Arbeit waren oder schliefen. Er schrieb ein Programm, das sich mit der Ebay-Uhr synchronisierte und im Namen der Bieter Gebote in letzter Sekunde abgab. In Erinnerung an die Grille, die immer wieder seine Konzentration gestört hatte, als er das Programm entwickelte, nannte er die Software „Cricket Jr.“. Als Eccles begann, Cricket Jr. auf Ebay anzubieten, verkaufte er sofort 300 bis 400 Kopien pro Monat zum Stückpreis von zehn Dollar. Bis zum Frühjahr 1998 verdiente er genug, um den Antiquitätenhandel aufzugeben.

Sniping hatte nicht nur Freunde. Eccles bekam regelmäßig hasserfüllte E-Mails, und in den Ebay-Foren gab es erregte Diskussionen darüber, dass Sniping ungehörig und unsportlich sei. Bieter, die Opfer eines Snipers geworden waren, beklagten sich, dass dies nicht der Idee einer Auktion entspreche.

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Die meisten Start-ups gehen wegen des Geldes an die Börse. In einer Boomphase – und 1998 war der Höhepunkt eines Booms – ist ein Börsengang meist der beste Weg für ein Unternehmen, um an frisches Kapital zu kommen. Außerdem galt in der Welt des Silicon Valley der Börsengang als äußerstes Zeichen des Erfolgs. Bei Ebay ging es darum, eine Investmentbank zu finden, die das Unternehmen und seine besondere Kultur verstehen würde. Also gab man allen Kandidaten eine Aufgabe: Sie sollten bis zu ihrer Präsentation etwas auf der Website erworben haben. Was sie kauften und wie sie davon erzählten, würde in den formalen Bewerbungsbogen eingehen. Michael Parekh von Goldman Sachs, der Investmentbank, die schließlich als Konsortialführer ausgewählt wurde, beeindruckte mit vier oder fünf Artikeln inklusive eines Pachisi-Spiels, das er für seine Mutter gekauft hatte. Goldman setzte sich gegen starke Konkurrenz durch.

Mitte Juli reichte Ebay den formellen Antrag auf die Börsenzulassung bei der Börsenaufsicht ein. Omidyar schrieb einen Brief an die Ebay-Gemeinschaft, erläuterte Ebays Pläne und betonte die wichtige Rolle der Nutzer: „Ihr könnt alle stolz darauf sein, dass ihr geholfen habt, Ebay aufzubauen, und wenn eure Freunde in den Nachrichten von uns hören oder unsere Werbung sehen, zögert nicht, ihnen zu sagen: Ich kannte diese Ebay-Leute schon, als sie noch ganz klein waren.“

Auf den Markt kamen am 23. September 4 489 275 Aktien, was einem Anteil von neun Prozent entsprach. Die Aktie eröffnete zu einem Kurs von 53,25 Dollar – ein Gewinn von 197 Prozent.

Am 16. Oktober 2000 starteten Ebay und Disney gemeinsam die Disney-Auktionen. In einer Presseerklärung hieß es, Ebay.Disney.com wende sich an jeden, der „Anteil an der Magie von Disney“ haben wolle. Zu den ersten Angeboten gehörten Eintrittskarten zur Premiere von „102 Dalmatiner“, Bette Midlers Kostüm aus „Hocus Pocus“ und Original-Schilder aus Disneyland. Disney war das erste Unternehmen, mit dem Ebay einen Vertrag über den Verkauf von Produkten geschlossen hatte.

Auf der Website für Disney Auktionen gab es eine Suchmaschine, die nur nach den Disney-Artikeln suchte . Die Disney Website war eine Insel, die sich vom Ebay-Festland gelöst hatte. Um an einer Auktion teilzunehmen benötigte man eine Kreditkarte und musste das Kleingedruckte lesen, wobei der Eindruck entstand, man dürfe die erworbenen Artikel niemals weiterverkaufen. Besonders erbost über das Projekt waren jene Händler, die schon zuvor auf Ebay mit Disney-Artikeln gehandelt hatten. Sie sahen ihr Geschäft bedroht.

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Das Haus von Al Hoff in einem grünen Mittelklasse-Stadtteil von Pittburgh, ist ein einziges Museum für billigen Kitsch. Im Wohnzimmer stolpert man sofort über einen gewaltigen Haartrockner, der zu einer Leselampe umfunktioniert wurde. An der Seite steht eines der berühmten „Eier“ des dänischen Designers Arne Jacobsen. Diese Sessel aus den 50er Jahren werden heutzutage für tausende Dollars gehandelt, doch Hoff hatte ihren bei einem Trödler für 6,99 Dollar erstanden. Hoff, eine sportliche, attraktive Frau in den Dreißigern, hatte das ganze Haus kultiviert kitschig eingerichtet: Im zweiten Stock gibt es ein kleines polynesisches Schlafzimmer, das man durch zwei Totempfähle betritt und in dem in einem riesigen Bücherregal polynesische Keramik-Becher in allen Formen und Größen ausgestellt werden.

Sie ist eine absolute Autorität, wenn es um Flohmärkte geht. Mitte der 90er Jahre veröffentlichte sie eine witzige Zeitschrift über das Einkaufen von Gebrauchtwaren. Hoffs sollte eine Anhängerin von Ebay sein. In Wirklichkeit hasste sie Ebay. In einem Artikel in ihrer mittlerweile eingestellten Zeitschrift fragte sie: „Sind die guten Zeiten vorbei?“ Sie warnte davor, dass Ebay alles ruinieren würde: „Die besten Sachen verschwinden jetzt aus den Läden und werden im Internet versteigert. Früher musste man dem Ladenbesitzer nur mehr zahlen, als er von irgendeinem anderen Kunden erwarten konnte. Bei Ebay gehen die Sachen immer an die Person, die auf der ganzen Welt am meisten zu zahlen bereit ist.“ Den Einfluss von Ebay konnte sie bereits in den Gebrauchtwarenläden von Pittsburgh erkennen. Es gab Zeiten, erzählt Hoff, als man eine Kiste mit Tonbändern für 25 Cent finden konnte. Ein Freund von ihr habe vor kurzem versucht, bei Ebay eine Tonbandaufnahme von Pink Floyd zu kaufen und zuschauen müssen, wie der Preis auf 227 Dollar stieg.

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Indem er das Verkaufen den Nutzern überließ, war Omidyar in der Lage, Ebay als „virtuelles Unternehmen“ zu führen: Ebay besitzt keine Waren oder Lagerhäuser, verschickt nichts und muss nichts umtauschen. Dieses Modell ist erstaunlich effizient und führte dazu, dass Ebay sechs Monate nach der Gründung eine Umsatzrendite von unglaublichen 80 Prozent erwirtschaftete. Ebay ist der große Gewinner des Internet-Booms. Nachdem die Spekulationsblase im Frühjahr 2000 geplatzt war, war Ebay mehr wert als Yahoo und Amazon zusammen.

Die Passagen entnehmen wir dem Buch: „Adam Cohen. Mein eBay. Geschichte und Geschichten vom Marktplatz der Welt“, das nächste Woche bei Schwarzerfreitag Publishing in Berlin erscheint.

(331 Seiten, 14,80 Euro)

Adam Cohen

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