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Zwei Gesichter. Jean Giraud 2008 vor einem Wandbild, das die von ihm geschaffene Figur des Major Grubert zeigt, einen Abenteurer, der Raum und Zeit bereist.

© AFP

Kultur: Der Traumbildner

Sinnbrocken schleudern: Zum Tod des großen französischen Comic-Künstlers Jean Giraud alias Moebius.

Streng strukturierte Abenteuergeschichten auf der einen, assoziativ erzählte Drogenträume auf der anderen Seite. Der große französische Comic-Künstler Jean Giraud, auch bekannt als Moebius, hatte schon immer ein Janusgesicht.

Geboren wurde Jean Giraud am 8. Mai 1938 in Nogent-sur-Marne in der Nähe von Paris. Der Junge wuchs bei seinen Großeltern auf. Früh erkannte er seine Liebe zum Comic. „Ich war 16 Jahre alt, als ich begann, angewandte Kunst zu studieren“, sagte Giraud einmal stolz einem Journalisten. Nach seinem Militärdienst 1957, den er in Deutschland und Algerien leistete, wurde er Assistent von Joseph Gillain alias Jijé, einem der ganz Großen des frankobelgischen Comics. Jijé war es auch, der den jungen Jean an Jean-Michel Charlier vermittelte, den Chefredakteur des Comic-Magazins „Pilote“, als dieser 1963 einen Künstler für eine Westernserie suchte.

„Leutnant Blueberry“ war in den ersten Jahren vom Hollywood-Western beeinflusst, die Hauptfigur sah aus wie Jean-Paul Belmondo. Lediglich die epische Erzählweise der Handlungszyklen war etwas Besonderes. Zwischen dem jungen Freigeist Giraud und dem konservativen Erzähler Charlier entstand schnell ein Band, Charlier ließ seinem Partner die Zügel los: Als erster Höhepunkt gilt Anfang der siebziger Jahre „Die vergessene Goldmine“. Hier verließen Autor und Zeichner die US-Vorbilder, Blueberry und seine Gefährten waren dreckige Antihelden, die sich in einer staubigen Wüste verirrten. Aus John Ford wurde Sergio Leone.

Kurz darauf erschien, noch in „Pilote“, die Erzählung „Die Umleitung“, in der ein Urlaub der Girauds im Unterbewussten des Familienoberhaupts endet. Die assoziative Erzählweise fand ihren Ausdruck in der freien Linienarbeit. So wurde Moebius geboren, das andere Ich Jean Girauds, das sich als Maske ein Moebiusband vor das Gesicht hielt, jene zweidimensionale Struktur, bei der außen und innen ineinander übergehen. Als Moebius holte Giraud Geschichten wie „Arzach“ und „Die luftdichte Garage“ (1979) tief aus den eigenen Traumwelten an die Oberfläche, wo sie sich in komplizierten Bilderwelten immer wieder veränderten. Die eine oder andere Droge mag dabei eine Rolle gespielt haben. Georg Seeßlen nannte diese präzise gezeichneten Geschichten „zentrifugale Erzählungen, die permanent Sinnbrocken aus sich herausschleudern, ohne dass sie den einen großen Sinn produzieren können oder wollen“.

Waren es bisher die Vaterfiguren Jijé und Charlier (und eine zielbewusste Ehefrau, die trotz Scheidung bis zum Schluss seine Managerin blieb), die Girauds Arbeiten bestimmten, so kamen jetzt Ufo-Sekten, Rohkostgurus und schlichte Spinner in sein Leben, wie der chilenische Regisseur und Autor Alejandro Jodorowsky. Eine dritte Karriere machte Giraud als Setdesigner für Filme wie „Alien“, „Tron“, „Abyss“ und „Das fünfte Element“. Über die katastrophale „Blueberry“-Verfilmung von 2004 schweigt man lieber.

Dass Giraud/Moebius trotz persönlicher Irrungen einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts war, unterstrich 1984 der damalige französische Kulturminister Jack Lang, der Giraud als ersten Comic-Künstler mit dem Grand Prix National des Arts Graphiques auszeichnete. Im Jahr 2000 erhielt er die höchste deutsche Comic-Auszeichnung, den Max-und-Moritz-Preis der Stadt Erlangen für sein Lebenswerk. Auch im Alter blieb Giraud ein innovativer Künstler, der seinen Stil immer weiterentwickelte.

Im vielleicht schönsten Buch von und über Moebius, dem Band „Zeichenwelt“, 2003 in Enzensbergers „Anderer Bibliothek“ erschienen, schreibt Andreas Platthaus: „Man muss sich Moebius als träumenden Menschen vorstellen.“ Nach einem schmerzvollen, drei Jahre dauernden Kampf gegen den Krebs schläft dieser Mensch nun für immer. Lutz Göllner

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