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Kultur: Der Traumreisende

„Kein Feuer, das nicht brennt“: Rayk Wielands Roman über einen Hochstapler und Stubenhocker.

Kreuzberg oder China. Für W., den Helden in Rayk Wielands Roman „Kein Feuer, das nicht brennt“, macht das keinen Unterschied. Zwanzig Jahre lang hat er sein Refugium Ostberlin nicht verlassen. Für kein Geld der Welt – und unter erheblichen Anstrengungen, den Mauerstreifen der ehemals geteilten Stadt bloß nicht übertreten zu müssen. Und nun, innerhalb kürzester Zeit, gelangt er erst unfreiwillig per Krankentransport nach Kreuzberg – und dann, weil es jetzt ja sowieso egal ist, nach China, natürlich auch gleich in ein Hotel direkt an der Großen Mauer.

Kurioser als W.s vorherige Reiseverweigerung ist daran eigentlich nur, dass er die jetzigen Ortsveränderungen erst unternimmt, als er seinen Job als Reisereporter bereits los ist. Er wurde entlassen, weil sich herausstellte, dass er niemals an den Schauplätzen seiner Reportagen gewesen war. In seinen Augen ist das konsequent. Chefredakteur und Kollegen reagieren allerdings mit beträchtlichem Unverständnis. Die nordkoreanischen Behörden hatten gepetzt, nachdem sein Artikel über eine Abenteuerreise in den abgeschotteten Staat hierzulande einige Furore gemacht hatte.

Die Reisefreiheit ist immer die Reisefreiheit der anderen. Das ist das Motto von W., den man schon aus Rayk Wielands allseits gepriesenem Debütroman „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ kennt. Mithilfe dieses Mottos schlawinert er sich durch seine kleine, große Welt. Als Journalist war W. einst berühmt dafür gewesen, aus fünf, sechs Artikeln einen siebten zimmern zu können. „Leicht verdientes Geld“ für ihn: „Die Redaktionen freuten sich, daß sie einen hatten, der genau das Gleiche schrieb wie alle anderen, nur eben mit anderen Worten.“

Mit hintergründigem Witz stellt Wieland die redaktionelle Selbstreferenzialität sowie die journalistische Gier nach dem Superlativ bloß. Denn warum sollte der Reporter eines Reisemagazins, das stets über Traumreisen, Traumschiffe und Traumziele berichtet, dazu Anzeigen mit Traumangeboten zu Traumpreisen druckt, nicht auch eine wortwörtliche Traumreportage abliefern? Dass der Verweigerer W. vor dem Hintergrund seines Betruges schlussendlich noch als grummeliger, aber nicht unsympathischer Rebell dasteht, statt als Nestbeschmutzer vor dem Leser, ist ein hübsch subtiler Kniff des doppelbödigen Erzählens: Man lässt dem Ich-Erzähler freie Hand, damit dieser sich selbst und seine ganze Umwelt gleich mit entlarvt.

Weitere Rollen in diesem klugen, kurzweiligen Roman spielen eine verflossene und eine neue Liebe, Joschka Fischer, die Relativitätstheorie sowie ein Hostel in der nordkoreanischen Botschaft. Der eigentliche Star der Geschichte ist jedoch W. und dessen abseitiger Blick auf die Welt, so zynisch und verbohrt wie er sein mag. Die globale Erreichbarkeit jedes Ortes, die globale Verfügbarkeit jeder Ware – es ist für ihn eine Horrorvorstellung, „dass alle Dinge heute zu uns kommen. Von überall her. Wir müssen uns nicht zu ihnen hinbemühen. Niemand muss in das Land, wo die Zitronen blühen, denn die Zitronen liegen im Supermarkt.“

Es gibt keinen Grund mehr zu reisen. Das Reisen macht sich selbst überflüssig, indem es sein Ziel aus den Augen verliert: den Weg. In „Kein Feuer, das nicht brennt“ wird nicht zuletzt beklagt, dass doch alles und jeder stets verfügbar zu sein habe. Doch wird nicht eigentlich das Fehlen weithin unterschätzt, fragt sich Wielands Held: „Fehlen nicht immer die wertvollsten Menschen? Vermisst man nicht immer gerade die, die nicht da sind? Sollte man nicht viel mehr an seinem eigenen Fehlen arbeiten?“

Rayk Wieland erweist sich mit seinem Roman als neuzeitlicher Philosoph mit stattlichem Schalk im Nacken. Kein gutes Haar lässt der heldenhafte Antiheld W. folgerichtig auch am Massentourismus. Alle Reiseziele der Welt sind bekannt, tausendfach besucht, abgelatscht und fotografiert. Welchen Reiz hat es da noch, als Eintausendunderster das exakt gleiche Foto zu schießen? Und in jeder Hotelbar, in die es W. nun plötzlich doch verschlägt, ist das Fernsehkaminfeuer gleich: Es ist kein Feuer, und es brennt nicht. Seine anfangs noch als wunderliche Marotte erscheinende Reiseunlust erschließt sich sozusagen von hinten.

Das ist vielleicht die einzige Schwäche des Buches, weil man es eigentlich zweimal lesen muss. Das könnte natürlich auch eine Stärke sein. Erst als W. in einem chinesischen Zug sitzt und das Gefühl bekommt, endlich ein Ziel zu haben, wird er zum Reisenden. Versöhnt mit dem Schicksal, der Welt und dem Verlust seiner bürgerlichen Existenz weiß W. das plötzlich zu schätzen. Damit erlaubt er seinem Schöpfer Rayk Wieland noch die Platzierung einer schönen Pointe und ein Plädoyer gegen die zwanghafte Suche nach einem Zweck: „Es geht gar nicht darum, etwas zu erleben, etwas wissen zu wollen. Denn dort, wo man ist, muss man nicht sein. Der Sinn des Reisens stand plötzlich klar vor mir. Reisen, das bedeutet ganz einfach: nichts anderes tun zu müssen.“

Rayk Wieland:

Kein Feuer,

das nicht brennt.

Roman. Verlag

Antje Kunstmann,

München 2012.

160 Seiten, 16,95 €.

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