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Zwischen den Welten. Bruno Ganz in Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ (1986)

© Cinetext Bildarchiv

Der Traumtäter: Bruno Ganz wird 70

Engel über Berlin, Teufel im Bunker: Der große Schauspieler Bruno Ganz wird 70 - er gilt im Kino als Deutschlands seltener Weltstar.

Alfred Hitchcock meinte, ein Film und alle Schauspielkunst seien vergebens, wenn nur „die Wahrscheinlichkeit ihr gemeines Haupt erhebt“. Ein wahrhaft Unwahrscheinlicher, den Hitchcock, wären sie sich begegnet, gewiss geliebt hätte, ist Bruno Ganz. Von Gestalt und Gesicht war er nie ein Wildling, doch von seinen Anfängen an ein Spieler, der aus dem Inneren, aus dem Unscheinbaren sanft explodieren konnte oder strategisch hochbewusst ausgebrochen ist: in die dunkleren, geheimnisvollen Reiche der Grenzgänger, der Überschreiter und Traumtäter. Ein Pionier der abgründigen Psyche und des poetischen Genies.

Was für ein Weg! Mit gerade 25 in Peter Zadeks Bremer „Räubern“ als Jungschillers Franz Moor vor den Vietnamkriegs-Comic-Kulissen von Roy Lichtenstein ein riesenrotohriger Intrigantenirrwisch; und bald danach in Peter Steins Bremer „Torquato Tasso“ auf einem Kunstrasen und vor Goethes Gipsbüste: Bruno Ganz als Italiens unglückseliger Renaissance-Dichter mit einem so kunstvoll noch nie gesehenen ziselierten Gebärdentanz zu den eigenen, von der höfischen Herrschaft bereits verlachten Wortgirlanden, toll und tragisch in einem.

Der schwarzgelockte Jüngling spielte damals noch einen fallenden Engel. Und ist ein paar Jahre später als russischer Graf doch zugleich ein romantisch-preußischer Held in Eric Rohmers Kleist-Verfilmung der „Marquise von O.“. Mit seiner Bremer und Berliner Schaubühnen-Kollegin Edith Clever gibt er ein sehr deutsches und doch fast überirdisch elegisches Göttermenschenpaar. So begann vor 35 Jahren, als Ausbruch aus dem Theater, eine internationale Filmkarriere, bei der man sich nie hätte vorstellen können, dass ausgerechnet Ganz einmal der beste, weil authentischste Kino-Hitler aller Zeiten werden würde. Und noch ein Riesensprung in die Gegenwart: In dem Berlin-Thriller „Unknown Identity“ ist Ganz gerade als schrathafter Ex-Stasioffizier und heutiger Privatdetektiv zu sehen, ein Kabinettstück. Denn die kleinbürgerliche Säuernis würzt Ganz mit einem dünnlippig spitzmündigen Witz, der dem grauen Geheimdienstrentner in seiner Ost-Tristesse plötzlich den füchsischen Charme eines Unverwüstlichen verleiht. Gäbe es eine Brandenburger Prärie, würde der sich à la „True Grit“ gewiss nochmal in den Sattel schwingen und in die rote Abendsonne reiten.

Bruno Ganz hat an der Schaubühne Hölderlin und Hamlet dargestellt und war als Filmakteur bei Wim Wenders ein Engel im Himmel über Berlin und später, bei Eichinger und Hirschbiegel, der Teufel im Höllenbunker unter der Stadt. Im Kino gilt Ganz - neben Armin Müller-Stahl und neuerdings Christoph Waltz - als Deutschlands seltener Weltstar. Wobei Waltz ja gebürtiger Österreicher ist - und Bruno Ganz aus Zürich stammt. Vor jedem überspannten teutonischen Tiefsinn bewahrt den Abgrundspieler also ein sinistrer Schweizer Humor, und sein untergründig südliches Flair verdankt sich wohl der italienischen Mutter. Ganz wirkt nie entspannter, als wenn er in leichtem Leinen und Espadrillos durch Venedigs Accademia-Viertel flaniert, wo er neben seiner Charlottenburger Wohnung ein pied à terre besitzt.

Für sich selber würde Bruno Ganz dieser südlichen Herkunfts- und Sehnsuchtdiagnose gerade noch zustimmen. Für eine Rolle aber wäre das noch zu viel von jener Küchenpsychologie, die zu den Herz-Schmerz-Scherz-Wahrscheinlichkeiten führt, die dem jungen Ganz schon so früh durch seine großen Theatergeister ausgetrieben wurden. Die hießen, von den legendären sechziger Jahren in Bremen bis 1975 an der Berlin-Kreuzberger Schaubühne: Peter Zadek, Peter Stein und Klaus Michael Grüber. Alle drei haben Ganz auf völlig unterschiedliche Weise über die Grenzen des bühnenrhetorisch Deklamatorischen oder fernsehhaft Pseudorealistischen geleitet. Zadek ins explosiv Vitale, Stein ins gedanklich Überscharfe, Grüber ins magisch Ungeheure.

Das legte in der Verbindung von Handwerk und Kunst, von Intelligenz und Grazie auch den Grund für alle Spannung und seine ungewöhnliche Spanne. So ist er in Steins 22-stündigem Jahrtausendwende „Faust“ die Himmel und Hölle beschwörende Titelfigur. Und verkörpert aus dem nämlichen Spielwitz heraus im selben Jahr 2000 auch die Kultrolle in der italienischen Kinokomödie „Brot und Tulpen“ („Pane e tulipane“). Darin spielt er einen venezianisch-nordländischen Kellner mit literarischen Neigungen, melancholischem Humor und der Verführungskraft des Unwahrscheinlichen, also Liebeslogischen. Das ist er ganz. Der wunderbare Bruno Ganz, der inzwischen auch als Präsident der Deutschen Filmakademie amtiert und am heutigen Dienstag unwahrscheinliche 70 wird.

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