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Kultur: Der traurigste Döner der Welt

Sie kamen aus London, Tel Aviv und Nordhessen: Das Berliner Elektro-Trio Jahcoozi überrascht mit einem hitzigen Debütalbum

„Das ist ja pervers“, schallt es durch den Kreuzberger Herbstnachmittag. Die Sonne scheint, und ein Mittvierziger wankt mit seiner Lidl-Tüte unsicher über die Falckensteinstraße. Was ihn erregt, ist nicht der hohe „Sprit“-Preis, sondern eine junge Sri Lankerin, die – wie Cleopatra es tun würde – vor dem Café San Remo auf einer Bank liegt.

Was der Mann nicht weiß: Jahcoozi- Sängerin Sasha Perera ist vor drei Wochen wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert worden und darf nicht sitzen. Keine optimalen Ausgangsbedingungen für jemanden, der Ende des Monats sein Debütalbum veröffentlicht und einen PR-Marathon sowie Live-Auftritte von Amsterdam bis Wien vor sich hat. Doch die zierliche 27-Jährige mit der kräftigen Stimme lässt sich davon nicht beeindrucken. Interviews werden im Liegen gegeben und die Konzerte dauern vorerst nur jeweils eine Viertelstunde.

Das reicht auch, um die Zuschauer von Jahcoozi-Konzerten reihenweise in Verzückung zu versetzen. Auf der Bühne stehen die beiden Männer in Samtkleidern von „Humana“, dazu Mützen, die der Kelly Family nicht scheußlicher hätten einfallen können, und ein roter Vespa- Helm mit Bärenohren. Für Beat-Produzent Robert Koch ist das der Kern der Jahcoozi-Philosophie: „Die meisten unserer Lieblingsbands waren uns live immer viel zu langweilig. Wir wollen zeigen, dass man auch bei elektronischer Musik performen kann.“

Neben Koch und Perera wird das Trio von dem israelischen Bassisten Oren Gerlitz komplettiert. Seine Musik ist eine Pastiche, vornehmlich aus den Klängen der letzten zwanzig Jahre, gleichzeitig komplex und reduziert. Denn zunächst entsteht ein überladenes Klangbett, das die Jahcoozi-Frontfrau zum Texten inspirieren und ihre Stimme besonders herausfordern soll. „Danach remixe ich unsere eigenen Songs, indem ich alle überflüssigen Sounds wieder wegnehme“, erläutert Koch, der seinen blonden Haarschopf meistens unter einem lässigen Kangol-Strickhut versteckt. Das Ergebnis ist ein Konglomerat aus verschiedenen Stilen: Dub, Rap, Reggae, Dancehall und Jazz.

Die Musik ist so vielseitig wie die Biografien der drei Bandmitglieder. Oren Gerlitz hatte in Tel Aviv Jazzmusik und Tontechnik studiert, bevor er sich für die Vielschichtigkeit künstlich erzeugter Soundgebilde begeisterte: „Es gibt in Israel zwar eine große House-Musikszene, aber für Experimente ist dort wenig Platz.“ Deshalb zog der sanfte Hüne mit den blonden Rastalocken mit seinem Elektronik-Projekt „PI“ vom Mittelmeer an die Spree. Hier traf er auf den ehemaligen Punk- Schlagzeuger Robert Koch, der gerade einen zweijährigen New York-Aufenthalt hinter sich hatte. „Das Musikgeschäft ist dort seit Jahren in fester Hand und der Kuchen damit klar verteilt“, resümiert er nüchtern. In Berlin findet er hingegen die Freiheit, neben seinem Studium an der Designakademie Kreuzberg noch Popsongs zu komponieren. Ähnliche Überlegungen bewogen auch Sasha Perera, ihre Londoner Heimat zu verlassen. Die Tochter sri- lankischer Einwanderer studierte Germanistik und entdeckte während eines Erasmus-Studienjahres in Köln ihre Liebe zum Texten und auf einem Kurztrip dann auch Berlin.

Seit drei Jahren macht das ungleiche Trio nun schon zusammen Musik, aber erst jetzt erscheint das Debütalbum „Pure Breed Mongrel“. In der Zwischenzeit wurde viel am Klangbild gefeilt und aufgetreten. Denn obwohl die Musik in Robert Kochs Studio entsteht, sind Jahcoozi eine Live-Band. Wobei viele Auftrittsorte heute nicht mehr existieren. So auch die Dönerlounge an der Schlesischen Straße. Ein bisschen wehmütig stehen die drei Musiker in dem vielleicht dreißig Quadratmeter großen Schnellimbiss, wo hinter zugezogenen Vorhängen legendäre Partys gefeiert wurden. „Hier standen 400 Leute, der Schweiß lief von der Decke, und wir haben mittendrin gespielt, denn es gab keine richtige Bühne“, erinnern sie sich lächelnd.

Neben den ungewohnten Klangkonstruktionen besticht das Trio vor allem durch seine Texte. „You know you stink of curry but the curry now rules the street“, solche Zeilen erschließen sich durch Sasha Pereras Lebensweg. Aufgewachsen als Tochter dunkelhäutiger Bürgerkriegsflüchtlinge, spielen viele ihrer Geschichten im asiatischen Immigranten-Milieu Großbritanniens. Sie berichtet von dem Gefühl, zwischen zwei kulturellen Welten zu ertrinken und als Teenager den Verlockungen der einen Seite und gleichzeitig den Verboten und Erwartungen der anderen ausgesetzt zu sein: Sex and the City kontra jungfräulich in die Ehe, Nike kontra Sari. „Bis heute bestimmt die Familie bei vielen den Lebensrhythmus, das wollte ich einfach reflektieren“, sagt Perera stolz.

Wie die britische Schriftstellerin Zadie Smith und die Sängerin M.I.A. öffnet damit auch Sasha Perera den Blick auf die Lebenswelt einer Generation, die in der europäischen Medienwirklichkeit kaum vorkommt. „Pappadum preach now I’m frying in the fat/ Achar achar hymen is intact/ I never used a tampon, really that’s a fact.“ Provokationen bleiben dabei nicht aus. Und auch wenn Oren Gerlitz und Robert Koch den trocken-britischen Humor ihrer Frontfrau nicht immer teilen, bietet der Jahcoozi-Sound allen dreien genug Spielraum. Trotz des gewagten Stilmischmaschs, das den marktgängigen Klang-Gesetzen zu widersprechen scheint, hofft Robert Koch auf einen Sprung aus der Electro-Nische: „Wir sind einfach in dem Alter, wo man nicht mehr überlegt, doch noch Bankkaufmann zu werden.“ Sollten Jahcoozi Erfolg haben, wird der Pop auf jeden Fall um eine interessante Nuance reicher.

Jahcoozis Album „Pure Breed Mongrel“ ist bei Kitty-yo erschienen.

Mikko Stübner

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