zum Hauptinhalt

Kultur: Der Unsichtbare

Dieter Detzner als Gast der Galerie Clemens Tissi

„Paul“ ist riesig. Groß wie die Wand, an der Dieter Detzner sein Bild, seine Skulptur aus Spiegelglas so passgenau installiert hat, dass die Arbeit ohne jede Hilfe im Raum zu stehen scheint. Gleichzeitig macht „Paul“ sich fast unsichtbar, weil seine Oberfläche alle jene Motive als bewegte Bilder zurückwirft, die darin reflektiert werden: Autos, Spaziergänger, Fassaden und was die Potsdamer Straße sonst noch hergibt.

Da mag Galerist Clemens Tissi zehnmal fortgeräumt haben, was den kalten, kristallklaren Eindruck des von Detzner verwendeten Materials beeinträchtigen könnte. Die Arbeit selbst signalisiert in jedem Moment, dass es keine störungsfreien Zonen gibt. Immer wieder wird die Wahrnehmung der spiegelnden Fläche gebrochen, von ihrem Muster aus sich kreuzenden Röhren zersplittert und ist die perfekte Struktur letztlich eine Schimäre. Man müht sich ab, sucht nach Wegen vom Chaos in die Ordnung und gelangt an ein Ziel ganz anderer Art: zum Genuss der Vergeblichkeit. Und auch das ist eine ästhetische Strategie.

Etwas davon schwingt mit in den Objekten des Berliner Künstlers, der im Dezember 2007 an einer großen Schau des Bielefelder Kunstvereins über den „Neuen Konstruktivismus“ teilgenommen hat. Konstruiert sind die Details seiner fast immer auf mehreckigen Grundformen basierenden Arbeiten tatsächlich; zuerst entstehen sie im Kopf, dann am Computer, schließlich als Modell. Und schon hier schleift sich die Schönheit und Klarheit des Gedankens an der Unvollkommenheit des Stofflichen ab.

Dennoch hat Detzner auch „Paul“ im eigenen Atelier realisiert, obwohl es das größte seiner Objekte bislang war. Dass er die Ausführung keiner spezialisierten Werkstatt überlässt und stattdessen die eigenen handwerklichen Fehler sogar intendiert, zeigt, worum es hier eigentlich geht. Um die Unbedingtheit zweier gegensätzlicher Kräfte, die man ohne einander gar nicht wahrnehmen kann.

„Paul“ als Skulptur ist ein reines Konstrukt, das Elemente der Kunst, Architektur und des Designs aufgreift oder zitiert. „Paul“ als Eigenname verleiht dieser abstrakten Form einen konkreten Körper. Dass Detzner die Namen aller seiner Arbeiten der Kunstgeschichte entlehnt, spielt eine untergeordnete Rolle: Was immer der Betrachter damit assoziiert, wird ebenso Teil der Interpretation wie die zahllosen Eindrücke auf der spiegelnden Oberfläche. Ein Synonym für die Vielfalt und konstruktive Ungewissheit, die Detzners strenges Formvokabular letztlich generiert.Christiane Meixner

Clemens Tissi, Potsdamer Straße 70; bis 20.5., Di bis Fr 14-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false