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Kultur: Der Untergeher

Hans Fallada machte es Uli Ditzen nicht leicht, sein Sohn zu sein

Die Nervösen seien das Salz der Erde, behauptete Marcel Proust. Mit Rudolf Ditzen alias Hans Fallada verfügt die deutsche Literatur des 20.Jahrhunderts über einen Parade-Nervösen, einen Haltlos-Exzessiven, der mit Morphium viele kleine Tode starb und seiner schwindenden Konstitution dennoch ein ausgedehntes Werk abrang, bevor er im Februar 1947 mit 53 Jahren einem Herzversagen erlag. Als sein ältester Sohn Ulrich die Todesnachricht erhielt, hatte er den einstigen „Traumvater“ aus idyllischen Kindertagen im mecklenburgischen Carwitz längst aufgegeben. Auch die Sonntagsbriefe, die sich Vater und Sohn seit 1940 schrieben, als Uli als Heimschüler auf ein Templiner Gymnasium kam, stifteten keinen Zusammenhalt mehr (Hans Fallada/Uli Ditzen: Mein Vater und sein Sohn. Briefwechsel. Aufbau Verlag, Berlin 2004. 243 Seiten mit 22 Abb., 18,90 Euro).

Rudolf Ditzen hatte sich den Künstlernamen Fallada von der Grimmschen Fabel des braven Gauls Falada geborgt, der aufgehängt am Stadttor endet. Als Familienvater brachte der Erfolgsautor denkbar schlechte Voraussetzungen mit: Der Sohn eines Reichsgerichtsrates stand zeitlebens mit zumindest einem Bein im Gefängnis. 1911 duelliert sich der 18-Jährige mit einem Schulfreund, erschießt ihn und kommt für zwei Jahre in die Nervenheilanstalt. In der Weimarer Republik verdingt er sich zunächst als Reporter, dann als Kartoffelspezialist auf ostelbischen Gütern und begeht fortgesetzt Unterschlagungen. 1944 wird der Alkoholisierte nach einem Mordversuch an seiner ersten Frau Anna, Ulis Mutter, in die Heilanstalt Neustrelitz eingewiesen.

Einen zu Lebzeiten unbekannten „Ausdruck von Ruhe und Frieden“ behielt der heute 73-jährige Rechtsanwalt Uli Ditzen vom Anblick seines toten Vaters in Erinnerung. Spät hat er sich mit ihm versöhnt, indem er eine Auswahl aus 461 erhaltenen Blättern herausgab: Mit diesem Briefwechsel habe sich sein Vater ihm wiedergegeben. In dieser nachvollziehbaren Genugtuung übersahen er und der Verlag jedoch, dass die oft harmlos-heitere Korrespondenz größtenteils nur von familiärem Interesse ist. Allzu selten scheint das Spannungsverhältnis eines von Sucht und Schreibzwang gehetzten Lebens mitten im Zweiten Weltkrieg auf. Etwa als der Patient der Kuranstalten Westend im Januar 1944 durch das zerstörte Berliner Viertel geht und eine alte Frau beobachtet, die in den Trümmern ihre Katzen füttert: „Das ist auch Treue!“, schreibt Hans Fallada, der selbst nie so treu wie sein Namenstier sein konnte.

Uli und Bruni Ditzen lesen am heutigen Sonntag um 17 Uhr im Savoy Hotel, Fasanenstr. 9/10, aus „Mein Vater und sein Sohn“.

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