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Kultur: Der unwiderstehliche Weltuntergang - Was wäre die Kunst ohne das Bibelbuch "Apokalypse"?

Die Sonnenfinsternis haben wir überstanden und den Jahrtausendwechsel auch. Werden uns die Unheilspropheten jetzt in Ruhe lassen?

Die Sonnenfinsternis haben wir überstanden und den Jahrtausendwechsel auch. Werden uns die Unheilspropheten jetzt in Ruhe lassen? Wohl kaum. Die Gründe für die bevorstehende Katastrophe mögen wechseln, aber die Gewissheit, dass sie eintritt, steht für die Schwarzmaler fest. Dabei erweist sich die Fixierung auf das dicke Ende nicht zuletzt als säkularisierter Überrest einer theologischen Erbschaft. Dem Erscheinen des Messias, glaubten die Propheten des Alten Testaments, werde eine Zeit der Wirren und der Zerstörung vorausgehen. In dieser Tradition steht auch die Offenbarung des Johannes, die den Fall Babylons, den Endkampf mit dem Antichristen und das Jüngste Gericht in großartigen Visionen schildert. Im irrigen Glauben, der Verfasser sei der Evangelist und Lieblingsjünger Jesu, nahmen die Redakteure des Neuen Testaments den futuristischen Text in den christlichen Kanon auf. Zu spät merkte man, dass er dort gar nicht hinpasste. Nach der Erlösung der Menschheit durch den Kreuzestod machte eine Rückkehr des Heilands, noch dazu begleitet von allerlei bizarren Widrigkeiten, keinerlei Sinn. Schlimmer noch: Das Warten auf ein künftiges Ereignis entzog der Amtskirche das letzte Wort.

Kirchenvater Augustinus fand einen Ausweg aus dem Dilemma: Formal blieb das peinliche Kapitel Bestandteil des Neuen Testaments, doch wurde es zur Allegorie heruntergestuft. Die protestantischen Kirchen hielten es nicht anders. Luther nannte die Offenbarung "aller Rottenmeister Gaukelsack", Calvin ließ sie stillschweigend links liegen. Die Augsburger Konfession erklärte die Wiedertäufer und andere Sekten, die sich auf das letzte Buch der Bibel beriefen, für häretisch.

Und spätestens hier kommt nun die Kunst ins Spiel. Die Kirchen konnten nämlich nicht verhindern, dass die hochdramatischen Bilder - die Hure von Babylon, das siebenköpfige Tier, das Buch mit sieben Siegeln, die apokalyptischen Reiter und schließlich das himmlische Jerusalem - die Fantasie des Volkes anregten. Auch die Künstler fanden die extravaganten Visionen unwiderstehlich.

Das Britische Museum hat die Jahrhundertwende zum Anlass genommen, um den dankbaren Gegenstand anhand von gut 200 illuminierten Handschriften, Zeichnungen und Grafiken anschaulich zu machen. Das älteste Stück ist der sogenannte Tiberius-Psalter aus dem Jahre 1050, der allerdings nicht ganz zur Sache gehört. Aber immerhin waren die ersten, deren Zeugnisse zur Apokalypse überliefert sind, die Buchmaler des hohen Mittelalters. Nach der Erfindung des Buchdrucks verbreiteten sich Bilderbibeln über das ganze protestantische Europa (Katholiken war die Lektüre der Bibel in der Landessprache bis 1902 untersagt).

Die Ausstellung zeigt Dürers berühmte Holzschnitte von 1498, den ersten Bildband der Geschichte; ebensowenig fehlen Cranachs Illustrationen der Luther-Bibel und William Blakes exaltierte Privatmythologie. Michelangelos "Jüngstes Gericht" ist mit drei zeitgenössischen Stichen vertreten.

Die Illustrationen der Bilderbibeln waren übrigens so populär, dass sie auch im politischen Kampf Verwendung fanden: Cromwell und Napoleon mussten es sich gefallen lassen, von ihren Gegnern als Antichristen verteufelt zu werden. Die politischen Satiren waren ein Zeichen dafür, dass die Christen ihre Bibel nicht mehr ganz so ernst nahmen. Daran konnte nicht einmal Isaac Newton etwas ändern, als er den erstaunlichen Versuch unternahm, ihre Voraussagen wissenschaftlich zu beweisen.

Der Offenbarung ging es wie dem Rest der Bibel: Allmählich verschwand sie aus dem Bildhaushalt der Kunst. Heute sind die apokalyptischen Halluzinationen nicht im Museum zu finden, sondern auf Kinoleinwänden.

Im Britischen Museum kann der Betrachter die nationalen Unterschiede studieren: Unter den Karikaturisten überwiegen die Briten, unter den Künstlern, die den Ersten Weltkrieg als Apokalypse erlebten, die Deutschen. Und den Abschluss der Schau bilden folgerichtig Szenenfotos und Plakate von Filmen, dazu eine Art Halloween-Parade mit unzähligen Pappfiguren - eine mexikanische Phantasmagorie des kollektiven Atomtods.

Trotz ihres kiloschweren Katalogs ist die Ausstellung wohl schwerlich das letzte Wort zum Thema Weltuntergang. Aber sie liefert einige nützliche Bausteine. Die vielgehörte Behauptung, um das Jahr 1000 herum sei die Christenheit besonders aufgeregt gewesen, kann auch das Britische Museum nicht belegen. In Ermangelung von Medien, die ihre Ängste schürten, scheinen unsere Ahnen die Meinung von Karl Kraus geteilt zu haben: "Der Zustand, in dem wir leben, ist der wahre Weltuntergang - der stabile."Bis 24. April. Katalog broschiert 25 Pfund, gebunden 40 Pfund.

Jörg von Uthmann

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