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Kultur: Der verhängte Himmel

Ismail Kadaré beim Berliner Literaturfestival

Von Caroline Fetscher

Einer Inszenierung gleicht der Auftritt von Ismail Kadaré („Der General der toten Armee“, „Der Palast der Träume“) auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin. Jedenfalls in den ersten Minuten. Oben auf der Bühne der ehemaligen Volksbühne sitzt das Volk, vor ihm der Autor, dahinter der große, leere Saal.

Melancholische Klänge eines Solotrompeters eröffnen den Abend mit Albaniens berühmtestem Dichter. Kadaré, geboren 1936 in Gjirokastër, erhielt dieses Jahr als erster Autor – und überraschender Outsider – den neuen International Booker Prize. Flankiert von einer Übersetzerin, dem jungen, kosovo-albanischen Schriftstellerkollegen Beqe Cufaj als Moderator und einem Vorleser, spricht Kadaré ein paar Worte auf Albanisch und bricht den Inszenierungscharakter der Szene auf.

Leise, ruhig und ohne jegliches Pathos liest er aus seinem 1985 erschienenen Roman „Das verflixte Jahr“, der 1913 mitten in einer balkanischen Kriegs- und Umbruchstimmung spielt. Auf die Erde rast ein Komet zu. Panik und Massenflucht auf der einen, k.u.k.-Klassendünkel, Dekadenz auf der anderen Seite der Gesellschaft mischen sich zu einem düsteren Gemälde. Kadarés Stimmungen sind die verhüllten, unscheinbaren, die sich unvermutet zum Monströsen auswachsen können. „Ein grauer Tag, an dem nicht Wolken, sondern feuchte Wolle am Himmel zu hängen schien“: So beginnt ein Verhängnis, das man nur ahnt.

Beqe Cufaj fühlt sich durch die Kolonialatmosphäre an eine Gegenwart erinnert, in der die albanische Bevölkerung des Kosovo erst unter serbischer Herrschaft, jetzt unter der Ägide der Vereinten Nationen lebt. Kadaré versteht sich nicht als Hellseher, sondern weist der Literatur generell, von den Dramen der Antike über Dantes Inferno bis heute, die Sphäre der Erkenntnis des Menschlichen zu. Einst Kommunist in der Ära Enver Hoxha, von 1970 bis 1982 sogar im Parlament in Tirana, zog Kadaré sich viel Kritik zu. Seine albanischen Leser empfanden den in dreißig Sprachen übersetzten Intellektuellen als befreiend, seine Sprache als Quelle in der totalitären Wüste, deren Diktat, die Kunst müsse dem sozialistischem Realismus entsprechen, er souverän unterlief.

„Er war unsere Rettung“, erklärt Anila Shuka, albanische Korrespondentin in Deutschland, später am Abend und lächelt. Das Lächeln bedeutet: Da könnt ihr sagen, was ihr wollt.

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