zum Hauptinhalt

Kultur: Der Versuch, das Repertoire mit alten Jiri-Kylißn-Choreographien aufzufrischen

Eine Lehre sind sie immer - die Ballette des Jrri Kylßán. Selbst wenn ein Stück schon vor 25 Jahren geschaffen wurde, zeugt es nach wie vor vom enormen choreographischen Potenzial seines Schöpfers.

Eine Lehre sind sie immer - die Ballette des Jrri Kylßán. Selbst wenn ein Stück schon vor 25 Jahren geschaffen wurde, zeugt es nach wie vor vom enormen choreographischen Potenzial seines Schöpfers. Fast alle Werke des ehemaligen Tänzers in John Crankos Stuttgarter Ballett und langjährigen Leiters des Nederlands Dans Theater beweisen Witz und Einfallsreichtum, gepaart mit einer hohen Musikalität. Auch das 1974/75 entstandene Stück "Rückkehr ins fremde Land", obwohl stilistisch und ästhetisch eindeutig ein Produkt der Zeit, hält in seinen choreographischen Lösungen noch immer genügend Überraschungen bereit.

Nach Crankos Tod im Sommer 1973 schuf Kylián zunächst einen Pas de trois, der heute das Finale des insgesamt vierteiligen Stückes bildet. Zu Recht trägt dieser Titel den Untertitel "Urzelle der Choreographie". Kylián verknüpft darin zwei Männer und eine Frau in vertrackten Figuren, die doch in organischem Fluss bleiben und immer wieder zu unkonventionellen Auflösungen führen. Schon darin deutet sich die Richtung an, die Kylián in der Folge immer mehr ausbaute.

Später um einen weiteren Pas de trois sowie zwei Pas de deux erweitert, bildet das Stück eine Auseinandersetzung mit Tod und Vergänglichkeit. Doch betreibt der Choreograph alles andere als metaphysische Spekulation. Die "Rückkehr ins fremde Land" ist ein widerspruchsvolles, spannungsgeladenes Eingedenken: von Trauer und Abschied ebenso gezeichnet wie von der Gewissheit, dass von der Strahlkraft eines Menschenlebens stets etwas bleibt. Entsprechend wechselt die Stimmung zwischen Melancholie und kraftvollem Aufbruch. Kylián findet in den abwechselnd braun und blau gekleideten Paaren und Trios immer wieder neue Bindungen und Lösungen. Nichts davon erscheint gewollt oder vorgezeigt. Die vertrackten Griffe der Partner lösen sich erst an dem Punkt, an dem sie sich, den Gesetzen der Anatomie folgend, lösen müssen. Eine Geschmeidigkeit und Bewegungslogik entsteht daraus, die kaum ein anderer Choreograph so meisterlich beherrscht. Ungewöhnlich häufig präsentiert Kylián die Tänzer in der Rückansicht, auf dem Weg in ein fremdes Land, das sie doch offenbar kennen.

Christine Camillo, Margaret Illmann, Yannick Boquin, Alexej Dubinin, Raimondo Rebeck und Hideyuki Tanaka tanzen dieses Stück gefühlvoll und unpathetisch, einfühlsam am Flügel begleitet von David Johnson. Größere Probleme bereitet den Tänzern dagegen das Eröffnungsstück dieses dreiteiligen Ballettabends. "Stamping Ground", ein Klassiker von 1983, wirkt eher wie harte Arbeit denn als ein Zeugnis von Kyliáns sprühendem Bewegungswitz. Zu angespannt und verkrampft erscheint die tänzerische Ausführung, als dass sie mit der gelassenen Souveränität des Nederlands Dans Theaters mithalten könnte. Erst in der abschließenden "Sinfonie in D" zu Musik von Haydn offenbart das Ensemble der Deutschen Oper etwas von der puren Lust am Tanz. Die slapstickhafte Abrechnung mit den Ballettklassikern präsentiert die Kompagnie, trotz gelegentlicher Unsauberkeit und Asynchronität, mit einigem Elan.

Bleibt trotz allem die Frage, warum das Haus sich entschlossen hat, mit "Rückkehr ins fremde Land" ausgerechnet ein weiteres Ballett aus Kyliáns Anfangszeit ins Repertoire zu nehmen. So sehr man auch hier schon die choreographische Meisterschaft erkennen kann, so wenig repräsentativ ist das Werk für Kyliáns aktuelles Schaffen. Wie das Ballett der Deutschen Oper mit einer derart vergangenheitsorientierten Repertoirepolitik die Zeit bis zur Übernahme der Direktion durch Angelin Preljocaj überstehen will, ist ein Rätsel.Weitere Aufführungen am 2., 8., u. 9. 10.

Norbert Servos

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false