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Kultur: Der virtuelle Kundenbetreuer

Henry Fogel, Orchestermanager und Internet-FanVON ALEXANDER ROSSIn amerikanischen Unternehmen herrscht eine klare Arbeitsteilung, und so ist es auch im Chicago Symphony Orchestra: Daniel Barenboim macht die Musik, Henry Fogel die Geschäfte.Auch wenn er längst nicht so bekannt ist wie der vielbeschäftigte Dirigent, ist seine Position nicht zu unterschätzen - der künstlerische und der kaufmännische Leiter verantworten gleichberechtigt ein Budget von 51 Millionen Dollar gegenüber dem Aufsichtsrat.

Henry Fogel, Orchestermanager und Internet-FanVON ALEXANDER ROSSIn amerikanischen Unternehmen herrscht eine klare Arbeitsteilung, und so ist es auch im Chicago Symphony Orchestra: Daniel Barenboim macht die Musik, Henry Fogel die Geschäfte.Auch wenn er längst nicht so bekannt ist wie der vielbeschäftigte Dirigent, ist seine Position nicht zu unterschätzen - der künstlerische und der kaufmännische Leiter verantworten gleichberechtigt ein Budget von 51 Millionen Dollar gegenüber dem Aufsichtsrat.Und es läuft gut: neben zahlreichen und anspruchsvollen Konzertprogrammen konnte im letzten Jahr sogar das doppelt so teure neue Symphony Center in Betrieb genommen werden.Auch hierbei kam ein wesentlicher Teil von den achtzehntausend Geldgebern des Orchesters, die fast ein Drittel des Budgets beisteuern.Diesen Personen und Institutionen eine besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen sieht Fogel als den wichtigsten Teil seiner Arbeit an.Das Wort Fundraising mag er nicht, er bettele nicht einfach Geld zusammen, sondern entwickele eine Beziehung zu den Kunden, um dadurch das Orchester voranzubringen. Customer care ist sein Zauberwort, und er liebt diesen direkten Draht zum Kunden, seit er als junger Mann beim Radio war.Kundendienst hieß dort, jeden Anrufer und seine Wünsche ernst zu nehmen.Fogel hatte zwar auch Musikwissenschaften an der Universität belegt, doch er erkannte seine Grenzen und ging ab, um mit einem Partner einen Klassik-Radiosender zu betreiben.Das Sendestudio stand anfangs noch in der Wohnung, man lebte zwischen Schallplattenkisten und UKW-Technik.In den folgenden fünfzehn Jahren mit täglich achtzehn Sendestunden hat sich Fogel neben geschäftlichem Wissen auch etwas erworben, das mit guter Repertoirekenntnis nur unzureichend beschrieben ist.Wohl auch deshalb sahen Dirigenten wie Zubin Mehta und Mstislav Rostropowitsch, mit denen er auf seinen nächsten Posten als Manager der New Yorker Philharmoniker und des National Symphony Orchestra in Washington, D.C., zusammenarbeitete, in ihm nicht bloß einen Kassenwart. Die Musikbegeisterung des Fünfundfünfzigjährigen findet seit vier Jahren eine weitere Erfüllung im Internet, "der größten Sammlung von Information und Desinformation in der Welt, auch über Musik".Sein Interesse gilt den sogenannten newsgroups, einer Art Diskussionsplattform mit tausenden von schwarzen Brettern, deren Texte von jedem Internet-Nutzer gelesen und ergänzt werden können.Er liest viele dieser Texte, aber meldet sich meist nur dann zu Wort, wenn er glaubt, etwas beizutragen, das für die anderen Teilnehmer von Interesse ist.Geschmacksfragen sind nicht seine Sache, auch über das Orchester und Daniel Barenboim erlaubt er sich keine Meinung, denn "niemand würde mich für objektiv halten, selbst wenn ich es wäre".Was ihn nicht davon abhält, Humor zu zeigen: Schlägt etwa jemand vor, Carlos Kleiber als Nachfolger von Claudio Abbado zu benennen, gibt er höflich zu bedenken, daß man als Chefdirigent leider mehr als nur einmal im Jahr auftreten muß. Sein zurückhaltendes Auftreten und sein stupendes musikalisches Wissen haben ihn zum respektierten Senior in Gruppen wie rec.music.classical gemacht.Besonders bei Furtwängler und Maria Callas ist er in seinem Element - er besitzt so ziemlich alles, was von beiden überhaupt je veröffentlicht wurde.Um andere an seinem Wissen teilhaben zu lassen, hat er in einer besonderen Fleißarbeit seine ganze Sammlung mit über fünfzehntausend Tonträgern vollständig als Datenbank im Internet verfügbar gemacht.Die Teilnahme in den newsgroups ist für ihn der Finger am Puls der musikinteressierten Öffentlichkeit, der für ihn wichtigsten Zielgruppe."Vergiß nie, wer deine Kunden sind und was sie denken, mögen und anderen darüber erzählen." Internet im Musikbereich, ein Privatvergnügen? Nein, sagt Fogel, eine Verpflichtung.In Europa und den USA wird das Publikum immer älter, und wer neues und jüngeres Publikum will, muß es auf geschickte Weise ansprechen."Das Atlanta Symphony verkaufte in den letzten acht Monaten Tickets für einhundertfünfzigtausend Dollar über das Internet - achtzig Prozent davon Neukunden, vor allem nachts.Alles klar?" Das Chicago Symphony Orchestra gibt heute und morgen unter Zubin Mehta und Daniel Barenboim im Rahmen der Festtage der Staatsoper jeweils um 20 Uhr in der Philharmonie Konzerte Sie finden Henry Fogel in: rec.music.classical, rec.music.opera und rec.music.classical.recording

ALEXANDER ROSS

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