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Kultur: Der Wahrheit tiefer Fall

Versuchung der Wissenschaft: Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön fälschte in den USA offenbar systematisch Forschungsergebnisse

Von Thomas de Padova

Das wissenschaftliche Labor ist ein Ort der Verführung. Die technischen Apparaturen laden dazu ein, das aus dem Buch der Natur herauszulesen, was zuvor noch niemand entziffert hat. Alles was man dazu braucht, ist ein Gedanke, der auf die richtige Fährte führt. Und wenn dieser partout nicht kommen will, dann können die eigene Sorgfalt und die Präzison der Messinstrumente immerhin dazu verhelfen, die Ergebnisse der Mitstreiter zu korrigieren. Denn nicht nur der geniale Einfall, sondern auch das winzige Detail verspricht Anerkennung in der Gemeinschaft der Wissenschaftler.

Der erst 32-jährige Jan Hendrik Schön hat sich diese Anerkennung mit allen Mitteln der Zunft verschafft. Der deutsche Physiker schickte sich an, die Computertechnik auf eine völlig neue materielle Basis zu stellen, und wurde bereits als künftiger Nobelpreisträger gehandelt. Doch dem raschen Aufstieg zum Olymp der Forschung folgte nun der Sturz in die Niederungen der Fälschung. Schön wurde in dieser Woche von seinem Arbeitgeber, den renommierten Bell-Laboratorien in Murray Hill im US-Bundesstaat New Jersey, gefeuert.

Etliche seiner Aufsehen erregenden Arbeiten waren offenbar nichts als Lug und Trug. Eine von den Bell-Laboratorien eingesetzte Kommission kam jetzt zu dem Schluss, dass Schön für mindestens 16 seiner Veröffentlichungen in Fachmagazinen Daten manipulierte. Er habe die Ergebnisse „absichtlich“ und „ohne das Wissen auch nur irgendeines seiner Ko-Autoren“ gefälscht.

„Wir sind tief betroffen, dass ein solcher Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens in unserem Institut aufgetreten ist“, sagt Bill O’Shea, Präsident der Bell-Laboratorien. „Das ist das erste Mal in unserer 77-jährigen Geschichte.“ Zehntausende Forscher haben dem Institut in dieser Zeit zu seinem beispiellosen Ruf verholfen. Mit Transistor, Laser oder Glasfasernetzen verdanken wir den Bell Labs all jene Erfindungen, die die moderne Kommunikationstechnolgie erst möglich gemacht haben. Es blickt heute voller Stolz auf 28000 Patente und sechs Nobelpreisträger, die aus den eigenen Reihen hervorgegangen sind.

Jan Hendrik Schön galt als eines jener jungen Talente, die diese einzigartige Erfolgsgeschichte fortschreiben sollten. Der Physiker promovierte 1997 an der Universität Konstanz und schaffte danach den Sprung an das Eliteinstitut. Eine Traumkarriere stand ihm bevor. Schön baute im Labor winzige elektronische Schaltkreise zusammen. Jedoch nicht aus gängigen Metallen wie Silizium oder Galliumarsenid: Er wollte den Computer mit organischem Material neu beleben und bastelte an den bis dato kleinsten Mikrochips, in denen einzelne Moleküle oder Schichten derselben die Signale von Schalter zu Schalter tragen.

Der Forscher verfolgte sein Ziel, die Computerindustrie und Nanotechnik miteinander zu verbinden, mit unvergleichlichem Eifer. Hunderte wissenschaftliche Veröffentlichungen stammen aus seiner Feder. Allein 17 davon hat er in den vergangenen zweieinhalb Jahren für die international bekanntesten Fachzeitschriften „Nature“ und „Science“ geschrieben. Die hier eingereichten Studien unterliegen einer besonders strengen Begutachtung.

Anfang des Jahres erregte dann eine elektronische Spannungskurve erstmals den Verdacht, ein Teil der erstaunlichen Produktivät könnte auf systematischer Fälschung beruhen. Schön hatte ein und dasselbe wissenschaftliche Diagramm mehrfach in „Nature“ und „Science“ publiziert, obwohl er in den Studien völlig unterschiedliche physikalische Systeme beschrieb: Einmal war es ein Transistor aus einer organischen Molekülschicht, ein anderes Mal sollte die Grafik den Spannungsverlauf eines einzelnes Moleküls verdeutlichen. Das passte nicht zusammen, wie Schöns Mitstreiter bemerkten.

Skepsis, diese hohe Tugend jedes Forschers, brandete dem zuvor gefeierten Deutschen nun entgegen. Der kritischen Prüfung durch eine Fachkommission hielten seine Ergebnisse nicht stand. Schön hatte seine Daten offensichtlich – geschönt. Ein Borderline-Physiker? Nun bedauert er in einer kurzen Stellungnahme, „verschiedene Fehler“ gemacht zu haben. Er bleibt jedoch dabei, die umstrittenen Daten im Labor gemessen zu haben. Im einzelnen lässt sich dies nicht mehr rekonstruieren: Schön hat die wesentlichen Messreihen von seinem Computer gelöscht, angeblich wegen mangelnden Speicherplatzes.

Der Fall Schön rückt die Wissenschaft in ein dunkles Licht. Ihr guter Ruf ist vor allem an die Glaubwürdigkeit der Forschungsergebnisse geknüpft. Die Wissenschaft soll „gesichertes Wissen“ produzieren. Das Problem dabei: Die Forschungsinstitute werden von einer Gesellschaft finanziert, die selbst kaum kontrollieren kann, was innerhalb der Wissenschaft geschieht. Die Öffentlichkeit verlässt sich ganz auf deren Selbstreinigungskräfte.

Das ging lange Zeit gut. Wenn hier und da ein fossiles Skelett nachträglich aus 80 zusammengeklaubten Fragmenten zusammengesetzt und als „Bindeglied zwischen Dinosauriern und Vögeln“ verkauft wurde, galt dies als Einzelfall. Man war davon überzeugt, dass das Misstrauen und der Wettbewerb der Forscher untereinander jeden Betrug schnell ans Licht bringen würden. Denn nach Möglichkeit kontrollieren Wissenschaftler alles, was andere herausgefunden haben.

In den USA reagiert man deshalb in der Regel immer noch gelassen auf Betrugsfälle: Ihre Aufdeckung, wie im Fall Schön, zeige ja, dass die Selbstkontrolle funktioniert. „Vielleicht sind wir Europäer in manchen Dingen etwas nachdenklicher“, sagte dazu der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß in dieser Woche bei einer Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Halle. „Und das, denke ich, ist gut so.“

Die Wissenschaft ist heute ein unüberschaubares Warenhaus. Es bietet Spezialkenntnisse feil, über die jeder nur staunen kann – auch Fachkollegen. Manchmal ist es selbst ihnen nicht möglich, die Ergebnisse anderer zu überprüfen, sei es, weil sie nicht über die geeignete technische Ausstattung verfügen, sei es, weil Wettbewerb und Ergebnisdruck auch sie in die Zange nehmen.

Das Labor von heute ist ein Ort der Verführung, zu dem immer mehr Menschen Zugang haben. Hohepriester der Wahrheit wird man darin nicht treffen, sondern ehrgeizige Forscher aller Couleur. Die Forschergemeinschaft ist gut beraten, die Arbeit ihrer Mitgleider noch strenger zu kontrollieren. Sonst droht die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft noch weiter zu schwinden.

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